Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des AG Schöneberg in Betreuungssachen
Leitsatz (amtlich)
Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt dort auf eine längere Zeit angelegt ist und der neue Aufenthaltsort anstelle des bisherigen der Lebensmittelpunkt sein soll. Ein Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, ist nicht erforderlich.
Verbringen deutsche Staatsangehörige unter Aufgabe ihre Lebensmittelpunkts in Deutschland ihren Lebensabend im Ausland, ist in Betreuungssachen grundsätzlich das AG Schöneberg gem. § 272 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zuständig.
Normenkette
FamFG §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 2, § 272
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 50 XVII B 169/17) |
AG Siegburg (Aktenzeichen 43 XVII 356/17) |
Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg.
Gründe
1. Die Betroffene, die an einer fortgeschrittenen Demenz leidet, war auf Antrag des Bevollmächtigten aufgrund einer Genehmigung des Amtsgerichts Siegburg vom 21. Dezember 2016 in der LVR-Klinik Bonn untergebracht. Anschließend befand sich die Betroffene in einem Pflegeheim in Köln-Porz. Im März 2017 siedelte die Betroffene unter Mitwirkung ihres Bevollmächtigten in eine Seniorenresidenz in Zabelkow/Polen (Zabelkau/Oberschlesien) über; dort hält sich die Betroffene seitdem auf.
Mit Schreiben vom 1. April 2017 hat der Beteiligte zu 2) die Bestellung eines Kontrollbetreuers zur "Überprüfung und Kontrolle des Vorgehens des Bevollmächtigten" der Beteiligten zu 1) und mit Schreiben vom 19. April 2017 die "Bestimmung einer rechtlichen Betreuung" beantragt. Mit Beschluss vom 26. Mai 2017 hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Siegburg das Verfahren an das Amtsgericht Schöneberg mit der Begründung abgegeben, der ständige Aufenthalt der Betroffenen liege nicht im Bezirk des angerufenen Amtsgerichts, die Betroffene halte sich in einer Seniorenresidenz in Polen auf, so dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg in Berlin gem. § 272 Abs. 1 Nr. 4 FamFG gegeben sei. Der Richter beim Amtsgericht Schöneberg hat mit Beschluss vom 2. Juni 2017 die Übernahme des Verfahrens mit der Begründung abgelehnt, das Amtsgericht Siegburg sei zuständig und zudem fehle es an einer wirksamen Abgabe, da hierfür der Rechtspfleger nicht zuständig sei.
Mit Beschluss vom 4. September 2017 hat die Richterin des Amtsgerichts Siegburg das Verfahren aus den Gründen des früheren Beschlusses vom 26. Mai 2017 an das Amtsgericht Schöneberg "abgegeben." Der Richter des Amtsgerichts Schöneberg hat mit Beschluss vom 12. September 2017 die Übernahme mit der Begründung abgelehnt, eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg sei nicht gegeben, da durch das "Verbringen" nach Polen kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werde. "Ansonsten wäre in Fällen, wo alte Menschen von kostenbewussten Angehörigen wie Koffer ins osteuropäische Ausland verbracht werden, immer das Amtsgericht Schöneberg zuständig. Dadurch würden solche Vorgänge auch zuständigkeitshalber legalisiert. Dies ist nicht zu billigen."
Daraufhin hat das Amtsgericht Siegburg die Sache zunächst dem Bundesgerichtshof und, nachdem dieser auf seine fehlende Zuständigkeit hingewiesen hat, dem Oberlandesgericht Köln zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
2. a) Das zuständige Gericht ist vorliegend gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zu bestimmen, da ein sogenannter negativer Zuständigkeitsstreit besteht (vgl. hierzu etwa Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 5 Rn. 21 m.w.N.). Demgegenüber scheidet eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FamFG aus, da es sich vorliegend - entgegen der Formulierung in dem Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 4. September 2017 - nicht um eine Abgabe im Sinne der §§ 4, 273 FamFG, sondern um eine Verweisung gem. § 3 FamFG handelt. Eine Abgabe setzt voraus, dass das abgebende Gericht an sich zuständig ist, indes ein wichtiger Grund für die Bearbeitung durch ein anderes Gericht gegeben ist, z.B. wenn hierdurch bei einem Aufenthaltswechsel des Betroffenen eine zweckmäßigere und leichtere Führung der Angelegenheit ermöglicht wird (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 19. Auflage 2017, § 4 Rn. 13 m.w.N. in Fn. 39 sowie Rn. 27). Entsprechend bestimmt § 273 FamFG ausdrücklich, dass ein wichtiger Grund vorliegt, wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen dauernd geändert hat (vgl. auch OLG Hamm, FGPrax 2010, 214; OLG Köln FGPrax 2014, 283; OLG Stuttgart FGPrax 2011, 326). Hält sich - wie hier - das Gericht nicht für örtlich zuständig, kommt hingegen eine Verweisung nach § 3 FamFG in Betracht. Daher kann die Frage der Übernahmebereitschaft durch das Amtsgericht Schöneberg dahin gestellt bleiben; ausschließlich maßgebend ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 272 FamFG. Da das nächsthöhere gemeinsame Gericht der Amtsgerichte Schöneberg und Siegburg der Bundesgerichtshof ist, hat die Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht Köln, zu dessen Bezirk das zunä...