Entscheidungsstichwort (Thema)
"Ganz anders": zum Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG n.F.
Leitsatz (amtlich)
1. a) Einstweilige (Zwischen-) Anordnungen im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG sind nicht mit der sofortigen Beschwerde (dort Satz 6) anfechtbar, sondern (nur) nach den allgemeinen Grundsätzen des FGG-Verfahrens.
b) Durch eine vor Anhörung des beteiligten Providers erlassene Einstweilige Anordnung kann nicht bereits die Auskunftserteilung gestattet werden. Zulässig und bei schlüssigem Antrag auch geboten kann jedoch eine Zwischenregelung sein, mit der es dem Provider vorläufig untersagt wird, die in Rede stehenden Daten zu löschen.
2. Wer das ausschließliche Nutzungsrecht eingeräumt bekommen hat, ein Werk über dezentrale Computernetzwerke öffentlich zugänglich zu machen, und nach dem Nutzungsrecht das wirtschaftliche Risiko der Rechteverwertung trägt, betreibt mit dem Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG keine Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 RDG und bedarf insoweit auch keiner Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 UrhWG.
3. Der Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 UrhG besteht nur, wenn sowohl der auskunftspflichtige Dritte als auch der Rechtsverletzer in gewerblichem Ausmaß gehandelt haben.
4. § 101 Abs. 2 UrhG setzt voraus, dass eine offensichtliche Rechtsverletzung vorliegt, nicht aber, dass sie offensichtlich von einer bestimmten Person begangen worden ist. Der Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG steht daher nicht entgegen, dass die angegebenen IP-Adressen Anschlüssen zugeordnet sein können, deren Inhaber nicht selbst Störer im Sinne des Urheberrechts sind.
5. Wer ein komplettes Musikalbum in der aktuellen Verkaufsphase der Öffentlichkeit im Rahmen einer Internettauschbörse anbietet, handelt - auch wenn dies nur für einen kurzen Zeitraum belegt ist - in gewerblichem Ausmaß i.S.d. § 101 Abs. 1 UrhG.
6. Die richterliche Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG stellt eine datenschutzrechtlich i.S.d. § 96 TKG hinreichende Erlaubnis dar.
Normenkette
UrhG §§ 19a, 101; FGG § 20 Abs. 1; BGB §§ 280-281; RDG § 2; UrhWG § 1 Abs. 1; TKG
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 02.09.2008; Aktenzeichen 28 AR 4/08) |
Tenor
1. Der Beschluss der 28. Zivilkammer des LG Köln vom 2.9.2008 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens und zur endgültigen Entscheidung über den Gestattungsantrag an das LG zurückverwiesen.
2. Der weiteren Beteiligten und Beschwerdeführerin wird es bis zum Abschluss des Verfahrens untersagt, die Daten zu löschen, aus denen sich ergibt, welchen Kunden unter welcher Anschrift die in Anlage ASt 8 genannten IP-Adressen zu den dort genannten Zeitpunkten zugeordnet waren.
3. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Parteien jeweils selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
4. Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 1.500 EUR.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist nach ihrem Vortrag Inhaberin des Rechts, den Tonträger "Ganz anders" des Künstlers Udo Lindenberg über dezentrale Computernetzwerke auszuwerten und in solchen öffentlich zugänglich zu machen.
Die Beschwerdeführerin ist ein Internet-Provider. Sie vergibt an ihre Kunden für die Nutzung des Internets IP-Adressen, die bei jedem neuen Zugang zum Internet, spätestens aber nach Ablauf von 24 Stunden neu vergeben werden (sog. dynamische IP-Adressen).
Die Antragstellerin trägt vor, sie habe festgestellt, dass das Werk "Ganz anders" als Teil der Musikalben "Stark wie zwei" des Künstlers Udo Lindenberg oder des Kopplungstonträgers "The Dome Summer 2008" von IP-Adressen aus, die die Beschwerdeführerin vergeben habe, in sog. Internet-Tauschbörsen angeboten worden sei.
Die Antragstellerin hat beim LG Köln sinngemäß beantragt, der Beschwerdeführerin zu gestatten, ihr Auskunft über Namen und Anschriften der Kunden zu erteilen, denen zu den aus Anlage ASt 8 ersichtlichen Zeitpunkten die ebenfalls dort aufgeführten IP-Adressen zugewiesen waren. Das LG hat ohne Anhörung der Beschwerdeführerin am 2.9.2008 eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der es dem Antrag vollinhaltlich stattgegeben und die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin auferlegt hat. Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin "sofortige Beschwerde" eingelegt, mit der sie begehrt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Die Beschwerde ist statthaft.
Dies folgt allerdings nicht aus § 101 Abs. 9 Satz 6 UrhG. Dieser eröffnet die sofortige Beschwerde gegen eine Anordnung, mit der die Zulässigkeit der Datenübermittlung gem. § 101 Abs. 9 UrhG ausgesprochen wird. Diese Anordnung schließt das Verfahren vor dem LG ab. Eine solche Entscheidung stellt der angefochtene Beschluss nicht dar. Mit diesem hat das LG lediglich vorläufig über die Anordnung entschieden, indem es, wie es im Rubrum formuliert hat, in einem "einstweiligen Anordnungsverfahren" entschieden und lediglich eine "einstweilige Anordnung" erlassen hat. Dass es sich lediglich um ein...