Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Besorgnis der Befangenheit ist stets aufgrund einer Gesamtwürdigung des richterlichen Verhaltens zu beurteilen. Zweifel an der Unvoreingenommenheit können dann nicht verneint werden, wenn trotz mehrerer - nicht offensichtlich verfahrenswidrigen Zwecken dienenden - Ablehnungsgesuchen und trotz bereits eingelegter sofortiger Beschwerde gegen die zurückweisenden Beschlüsse der abgelehnte (Vorsitzende) Richter noch an einer Sachentscheidung teilnimmt und damit gegen das Wartegebot des § 47 ZPO verstößt.

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Beschluss vom 15.03.2004; Aktenzeichen 2 O 82/03)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des LG Bonn vom 15.3.2004 (2 O 82/03) in Form der Nichtabhilfeentscheidung vom 4.4.2004 dahingehend abgeändert, dass das gegen Vorsitzende Richterin am LG E gerichtete Befangenheitsgesuch für begründet erklärt wird.

Die weiter gehende Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Gründe

Die gem. § 46 Abs. 2 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat Erfolg, soweit sich die Ablehnungsanträge der Beklagten gegen Vorsitzende Richterin am LG E richten. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Die gegen die Kammervorsitzende gerichteten Ablehnungsgesuche sind begründet. Für die erfolgreiche Ablehnung eines Richters ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt insoweit die begründete Besorgnis der Unvoreingenommenheit. Diese Besorgnis ist dann anzunehmen, wenn objektive Gründe vorhanden sind, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unparteiisch gegenüber.

Nach diesen Grundsätzen ist die Besorgnis der Befangenheit anzunehmen. Zwar vermögen einfache oder einmalige (vgl. OLG Brandenburg vom 13.7.1999 - 1 W 9/99, OLGReport Brandenburg 1999, 469 = NJW-RR 2000, 1091) Verstöße gegen Verfahrensvorschriften oder die Kundgabe unzutreffender Rechtsansichten durch den abgelehnten Richter nach allgemeiner Ansicht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 44 Rz. 24, 28, 33, m.w.N.) noch nicht die Ablehnung zu begründen. Bei einer Gesamtwürdigung der verfahrensmäßigen Vorgehensweise der Kammervorsitzenden vom Eingang des Terminsverlegungsantrags der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Schriftsatz vom 4.10.2003 bis hin zum Erlass des Versäumnisurteils vom 15.10.2003 können aus der Sicht eines objektiven Betrachters aber Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterin nicht verneint werden. Die angefochtene Entscheidung, welche sich nur mit den Einzelaspekten der von der Beklagten beanstandeten Vorgehensweise befasst, die gebotene Gesamtbetrachtung der Ablehnungsgründe (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 44 Rz. 9) dagegen außer Acht lässt, kann daher keinen Bestand haben.

Die Besorgnis der fehlenden Unvoreingenommenheit wird maßgebend dadurch begründet, dass die Vorsitzende der Kammer, nachdem zu diesem Zeitpunkt drei - nicht offensichtlich verfahrensfremden Zwecken dienende - Ablehnungsgesuche und die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Kammer vom 14.10.2003 vorlagen, die mündliche Verhandlung vom 15.10.2003 geleitet und an einer Entscheidung in der Sache mitgewirkt hat. Damit hat die abgelehnte Richterin, obgleich sie auf diesen Aspekt hingewiesen worden war, gegen das aus § 47 ZPO folgende Wartegebot verstoßen, wonach ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vornehmen darf, die keinen Aufschub gestatten. Diese Vorschrift meint nach einhelliger und vom Senat geteilter Auffassung (vgl. BayObLG vom 21.1.1988 - BReg. 3 Z 193/87, MDR 1988, 500; OLG Hamburg vom 12.2.1991 - 7 W 62/91, 7 W 63/91, NJW 1992, 1462 [1463]; OLG Karlsruhe vom 14.3.1997 - 14 W 74/96, NJW-RR 1997, 1350; OLG Köln vom 29.1.1999 - 8 W 1/99, OLGReport Köln 1999, 163 = NJW-RR 2000, 591; OLG Brandenburg vom 13.7.1999 - 1 W 9/99, OLGReport Brandenburg 1999, 469 = NJW-RR 2000, 1091) mit Erledigung eine rechtskräftige Entscheidung über das Ablehnungsgesuch. Abzuwarten ist danach der Ausgang eines Beschwerdeverfahrens. Dies ist nicht geschehen. Stattdessen sind sämtliche Ablehnungsgesuche als unzulässig zurückgewiesen und die mündliche Verhandlung ist durchgeführt worden. Diese Vorgehensweise kann aus der Sicht der Beklagten den Eindruck erwecken, als sei es nicht um die inhaltliche Überprüfung eines Befangenheitsgesuchs in dem dafür bestimmten Verfahren gegangen, sondern allein um die schnelle Erledigung des Prozesses (OLG Köln vom 29.1.1999 - 8 W 1/99, OLGReport Köln 1999, 163 = NJW-RR 2000, 591 [592]).

Die abgelehnte Richterin war an das Wartegebot gebunden. Die Pflicht entfällt nur bei offensichtlich missbräuchlichen Ablehnungsersuchen. Um solche handelte es sich bei den Anträgen vom 9., 13. und 14.10.2003 indes nicht. Die Beklagte hatte ihr erstes Befangenheitsgesuch vom 9.10.2003, welches von der Kammer verfah...

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