Entscheidungsstichwort (Thema)
Nervverletzung als Behandlungsfehler; Behandlungsalternativen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verletzung des nervus recurrens (Stimmbandnerv) im Rahmen einer Schilddrüsenoperation lässt nur dann auf einen vermeidbaren Behandlungsfehler schließen, wenn er mittels Schere oder Messer durchtrennt, nicht aber, wenn er durch Zug auf den Schilddrüsenlappen gerissen ist, was ein operationsimmanentes Risiko darstellt. Die Möglichkeit einer Identifizierung des Nervs durch Neuromonitoring ändert daran nichts.
2. Zur Frage von aufklärungspflichtigen Behandlungsalternativen bei einer Schilddrüsenoperation.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 18.02.2010; Aktenzeichen 9 O 430/08) |
Tenor
1.Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 18.2.2010 verkündete Urteil 9. Zivilkammer des LG Bonn - 9 O 430/08 - gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I. Die Berufung der Klägerin, die zwar einen ausdrücklichen Berufungsantrag nicht gestellt hat, ihr erstinstanzliches Klagebegehren aber ersichtlich weiterverfolgt, hat keine Aussicht auf Erfolg.
Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil nach den gem. § 529 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Feststellungen Behandlungsfehler zu Lasten der Klägerin nicht bewiesen sind und auch die Aufklärungsrüge nicht durchgreift. Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 und 2 ZPO). Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die sich der Senat zu Eigen macht, wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt eine abweichende, ihr günstigere Entscheidung nicht.
1. Das LG hat aufgrund der gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A., an dessen Fachkompetenz keine Zweifel bestehen und auch von der Klägerin nicht substantiiert aufgezeigt werden, in nicht zu beanstandender Weise Behandlungsfehler des Beklagten zu 2) bei der Schilddrüsenoperation der Klägerin nicht festzustellen vermocht. Darüber hinaus ist retrospektiv indessen die von der Klägerin aufgeworfene Frage, wie und wann der Nervus recurrenz durchtrennt worden ist, nicht aufzuklären. Weder aus dem Operationsbericht, ohne dass dieser dokumentationsfehlerhaft wäre, noch aus der Klinik noch aus medizinwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten ergeben sich insbesondere hinreichend sichere Anhaltspunkte dafür, dass der Nerv bei der Mobilisation des linken Schilddrüsenlappens mit der Schere oder dem Messer durchtrennt worden ist. Nur dies freilich hat der Sachverständige als behandlungsfehlerhaft bewertet, nicht aber wenn der Nerv etwa durch Zug gerissen wäre. Letzteres ist ein operationsimmanentes Risiko (vgl. nur BGH VersR 1980, 428 ff.), woran sich bis heute leider nichts geändert hat. Es spricht auch nichts dafür, dass der Beklagte zu 2) den linken Stimmbandnerv zu spät dargestellt hätte. Insoweit hat der Beklagte zu 2) im Verhandlungstermin vor dem LG unter Berufung auf entsprechende Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. erläutert, dass der Nerv erst sichtbar sei, wenn ungefähr 2/3 freipräpariert und dargestellt sei. Das leuchtet ein. Ausweislich der dem gerichtlichen Gutachten beigefügten Zeichnungen (Bl. 167 GA) befindet sich der Stimmbandnerv zwischen der Fascie und der Schilddrüse. Um den Stimmbandnerv darzustellen, muss also zwangsläufig zunächst die Schilddrüse jedenfalls teilweise von der Fascie gelöst werden. Dementsprechend hat der Sachverständige Prof. Dr. A. in seinem Gutachten auch darauf hingewiesen, dass die Schilddrüsenpräparation unmittelbar an der Kapselaußenseite erfolgen müsse und nur in die Drüse einstrahlende Strukturen durchtrennt werden dürften, um den Nerv zu schonen. Anhand der Skizze leuchtet ferner ein, dass etwa 2/3 des Schilddrüsenlappens freipräpariert werden müssen, um den Nerv sehen zu können. Die gegenteilige Ansicht der Klägerin ist durch nichts belegt und erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein. Gleiches gilt für die - aus vorstehenden Erwägungen anatomisch unlogische - Meinung der Klägerin "erst Identifizieren und Darstellen und dann Präparieren". Aus der Methode des Neuromonitoring folgt ebenfalls nichts anderes. So beschreiben Timmermann u.a. (Deutsches Ärzteblatt 2004, A 1341 ff., 1342) das Vorgehen bei der Nervenidentifizierung durch Neuromonitoring dergestalt, dass nach Anlage der Ableitelektroden und Funktionsprüfung des Neuromonitoringsystems im OP-Gebiet die Struktur, die man präparatorisch dargestellt hat und optisch für den N. recurrens hält, elektrisch stimuliert wird. Das jedoch erfordert zwangsläufig ein Lösen der Schilddrüsenkapsel von der Fascie. Auch für die von der Klägerin genannte...