Verfahrensgang

AG Aachen (Entscheidung vom 02.06.2020; Aktenzeichen 520 Gs 85/20)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass Rechtsanwältin A für sämtliche Hauptverhandlungstermine ab dem 25.01.2021 bis zur Urteilsverkündung vom 02.06.2021 als Sicherungsverteidigerin des Angeklagten bestellt war.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten hierin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Gegen den Angeklagten wurde bei der 4. großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen ein Strafverfahren wegen 11 Fällen der Brandstiftung, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Mord stehend geführt (96 KLs 3/20). Dem aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 02.06.2020 (520 Gs 85/20) in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten wurde am 02.06.2020 durch das Amtsgericht Aachen Rechtsanwalt B als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.07.2020 bestellte sich zusätzlich Rechtsanwältin A als Wahlverteidigerin für den Angeklagten.

Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung wurde zwischen dem damaligen Vorsitzenden, Vorsitzenden Richter am Landgericht C, und den Verteidigern im Rahmen der Terminabsprache telefonisch erörtert, zur Gewährleistung einer zeitnahen Durchführung der Hauptverhandlung - aufgrund teilweiser Terminverhinderung der beigeordneten Pflichtverteidiger der beiden Angeklagten - Rechtsanwältin D als Sicherungsverteidigerin der Angeklagten E und Rechtsanwältin A als Sicherungsverteidigerin des Angeklagten F beizuordnen. Der Angeklagte war mittellos, so dass seine Vertretung in sämtlichen anvisierten Terminen durch Rechtsanwältin A nur durch ihre Beiordnung als Sicherungsverteidigerin sichergestellt werden konnte. Per Email vom 20.11.2020 wandte sich der Vorsitzende an die beteiligten Verteidiger und fasste die vorherigen Terminabsprachen zusammen. Dort lautete es ausdrücklich:

"Mit Blick auf die im Rahmen der Terminabstimmung zutage getretene Terminlage der Verteidigung ist beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin A sowie Frau Rechtsanwältin D verfahrenssichernd beizuordnen."

Im Haftfortdauerbeschluss vom 23.11.2020 wies die Kammer darauf hin, dass die Durchführung der Hauptverhandlung ab dem 19.01.2021 vorgesehen sei und bislang 15 Termine mit den Verteidigern und den psychiatrischen Sachverständigen abgestimmt worden seien.

Mit Beschluss des Vorsitzenden vom 14.12.2020 wurde Rechtsanwältin D als weitere verfahrenssichernde Pflichtverteidigerin bezüglich der Mitangeklagten E beigeordnet. Eine schriftliche Beiordnung hinsichtlich Rechtsanwältin A unterblieb. Etwaige Gründe, die insoweit entgegen der vorstehenden E-Mail gegen eine Beiordnung sprachen, sind nicht aktenkundig.

Mit Eröffnungsbeschluss vom 22.12.2020 erfolgte zugleich eine Terminbestimmung von zunächst 15 Terminen im Zeitraum vom 25.01.2021 bis 18.03.2021. Rechtsanwältin A wurde zu diesen Terminen geladen. Am 14.01.2021 wurde ihr die Kammerbesetzung mitgeteilt. Auch zu den weiter bestimmten Fortsetzungsterminen vom 08.02.2021 und 01.03.2021 wurde sie geladen.

Rechtsanwältin A nahm in der Zeit vom 25.01.2021 bis zur Verkündung des Urteils am 02.06.2021 an Hauptverhandlungsterminen teil. Durch Urteil der 4. großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen vom 02.06.2021 (96 KLs - 401 JS 184/20 K - 3/20) wurde der Angeklagte nach 21 Hauptverhandlungstagen wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit vorsätzlicher Brandstiftung und wegen vorsätzlicher Brandstiftung in 10 Fällen, davon in einem Fall im Versuchsstadium, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil legten die Verteidiger des Angeklagten am 02.06.2021 Revision ein.

Erst aufgrund der - auf ihren anschließend gestellten Kostenfestsetzungsantrag erfolgenden - Mitteilung des Rechtspflegers des Landgerichts Aachen stellte Rechtsanwältin A fest, dass eine formelle Beiordnung bis dahin nicht erfolgt war.

Mit Schriftsatz vom 16.11.2021 beantragte sie, die (zumindest) konkludente Beiordnung betreffend den Angeklagten nachträglich schriftlich zu fassen bzw. hilfsweise, sie rückwirkend dem Angeklagten als Pflichtverteidigerin beizuordnen.

Mit Beschluss vom 28.01.2022 lehnte es die nunmehrige Vorsitzende der 4. großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen, Vorsitzende Richterin am Landgericht G, ab, Rechtsanwältin A als Pflichtverteidigerin des Angeklagten zu bestellen. Sie ging hierbei davon aus, dass weder eine Bestellung durch schlüssiges Verhalten anzunehmen sei noch eine rückwirkende Bestellung in Betracht komme. Für eine Beiordnung bestünde kein Raum mehr, wenn das Verfahren entweder rechtskräftig abgeschlossen oder - wie hier - in der Instanz, für die die Beiordnung beantragt worden sei, abgeschlossen sei. Eine rückwirkende Beiordnung komme auch nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass dies der Korrektur eines vorangegangenen Versäumnisses, nämlich der zeitnahen Entscheidung über den rechtzeitig gestellten Beiordnungsantrag dienen würde. Denn ein solcher Antrag se...

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