Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Bildungstoleranz bei Wegzug in entfernt gelegenen Wohnort
Leitsatz (amtlich)
Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH FamRZ 2008, 592). Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist stets das Kindeswohl. Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (so BGH FamRZ 2011, 796-801; FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.). Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.; FamRZ 2010, 1060).
Ein Kriterium für die Sorgerechtsentscheidung kann die Frage sein, welcher Elternteil die bessere Bindungstoleranz besitzt. Fehlt es an der dem Kindeswohl dienlichen Bindungstoleranz des betreuenden Elternteils, steht seine Erziehungseignung in Frage (BGH FamRZ 2010, 1060).
Mangelnde bzw. schlechtere Bindungstoleranz kann nur dann auf die Tatsache eines Umzugs in einen vom Wohnort des Umgangsberechtigten, sein Umgangsrecht erschwerenden weiter entfernten Ort gestützt werden, wenn der andere Elternteil mit dem Wegzug (auch) den Zweck verfolgt, den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil zu vereiteln.
Hat der betreuende Elternteil gewichtige Gründe für den Wegzug und stellt er nach dem Wegzug den Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil sicher, spricht dies gegen eine auf fehlender Bindungstoleranz beruhenden Entscheidung.
Verfahrensgang
AG Brühl (Beschluss vom 09.12.2010; Aktenzeichen 33 F 188/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Brühl vom 9.12.2010 - 33 F 188/10 - abgeändert.
Unter Zurückweisung des Gegenantrags des Antragsgegners wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind C. I. L., geboren am 8.8.2006, auf die Antragstellerin (Kindesmutter) übertragen.
Die Kosten beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
Die gem. §§ 58, 59, 61, 63, 64, 151, 38 FamFG zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache Erfolg. Auf ihren Antrag hin war die angefochtene Entscheidung des Familiengerichts unter Abweisung des Gegenantrags des Antrags- und Beschwerdegegners abzuändern und der Kindesmutter nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht über den gemeinsamen Sohn C. zu übertragen.
Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teiles der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge bzw. eines Teilbereichs von dieser und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH FamRZ 2008, 592). Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist stets das Kindeswohl. Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (so BGH FamRZ 2011, 796-801; FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.). Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.; FamRZ 2010, 1060). Erforderlich ist eine alle Umstände des Einzelfalls abwägende Entscheidung. Hierbei sind alle von den Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Gesichtspunkte in tatsächlicher Hinsicht soweit wie möglich aufzuklären und unter Kindeswohlgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfG FamRZ 2009, 1897 ; BGH FamRZ 2010, 1060).
Um eine möglichst sachgerechte am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen, hat der Senat den bei seiner Anhörung noch vier Jahre alten C. nochmals angehört. Der Senat konnte sich so selbst von C. und seinen Neigungen, Bindungen sowie seinem Willen einen unmittelbaren Eindruck verschaffen (BGH FamRZ 1985, 169) und eine eigene Überzeugung bilden, zu welcher Person er die stärksten Bindungen hat. Insbesondere war die Beachtlichkeit seines geäußerten Willens unter den gegebenen Umständen zu untersuchen, wobei der Senat sich im Hinblick auf das Kindesalter be...