Leitsatz (amtlich)
›Vertritt ein Anwalt mehrere Streitgenossen und ist einem von ihnen ohne Einschränkung Prozeßkostenhilfe bewilligt, so ist der Vergütungsanspruch des beigeordneten Anwalts gegen die Staatskasse nicht auf den Mehrvertretungszuschlag nach § 123 BRAGO zu zahlen, soweit dieser den Anteil nicht übersteigt, der im Innenverhältnis der Streitgenossen auf die bedürftige Partei entfällt.‹
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 43 O 214/94) |
Gründe
I. Das Oberlandesgericht Köln hat der Beklagten zu 2) für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe bewilligt und ihr den Antragsteller, der zugleich die Beklagte zu 1) vertreten hat, beigeordnet. Der Antragsteller hat seine Ansprüche auf Vergütung in Höhe von 2.325,88 DM gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Gegen die Festsetzung von nur 235,52 DM hat er Erinnerung eingelegt, der das Landgericht abgeholfen hat. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 Abs. 4 BRAGO), aber unbegründet.
1. Der Antragsteller hat die ihm nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte zustehende Vergütung zutreffend berechnet. Sie steht ihm in voller Höhe zu, obwohl er neben der Beklagten zu 2) auch die Beklagte zu 1) vertreten hat, für die keine Prozeßkostenhilfe beantragt wurde.
2. Der Bezirksrevisor beruft sich mit seiner Beschwerde auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1. März 1993 (Rpfl 1993, 452 = MDR 1993, 913 = NJW 1993, 1715), nach der die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sich in einem Fall wie dem vorliegenden "auf die Erhöhungsbeträge nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO" beschränken soll. Es kann dahinstehen, ob der Bundesgerichtshof nur darüber entscheiden wollte, in welchem Umfang ein Gericht bei der hier gegebenen Konstellation Prozeßkostenhilfe zu bewilligen hat, oder ob der Entscheidung darüber hinaus zu entnehmen ist, daß die Bewilligung sich auch dann, wenn der Bewilligungsbeschluß keinerlei Beschränkungen enthält, allein auf die Erhöhungsbeträge beziehen soll. Nur wenn man die Entscheidung im zuletzt genannten Sinn versteht, ist sie hier einschlägig. Indes kann ihr nicht gefolgt werden.
Der Beschluß des Bundesgerichtshofs ist mit Recht allgemein auf Ablehnung gestoßen (vgl. z.B. OLG Düsseldorf OLGR 1997, 340 m.w.Nachw. - auch zu den wenigen "zustimmenden" Entscheidungen, die sämtlich aus der Zeit vor 1993 stammen; OLG München MDR 1996, 857 = NJW-RR 1997, 191 = OLGR 1996, 207; SchlHOLG OLGR 1998, 234; OLG Stuttgart JurBüro 1997, 200; LG Frankenthal JurBüro 1997, 91 = MDR 1997, 208; LG Berlin MDR 1996, 754 = JurBüro 1996, 434; Gerold/Schmidt/von Eicken, BRAGO, 13. Aufl., § 6 Rn. 23; Hartmann, Kostengesetze, 27. Aufl., § 122 Rn. 65; Fischer JurBüro 1998, 4; Rönnebeck, NJW 1994, 2273). Er wird dem Umstand nicht gerecht, daß der Anwalt gegenüber dem bedürftigen Mandanten ebenso wie gegenüber dem gleichzeitig vertretenen Streitgenossen, der keine Prozeßkostenhilfe in Anspruch nimmt, gemäß § 6 Abs. 3 BRAGO einen Anspruch auf "die Gebühren und Auslagen hat, die er schulden würde, wenn der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden wäre". Gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist er allerdings gehindert, seinen Anspruch gegen die Partei geltend zu machen, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist. Es spricht viel dafür, diese Gesetzeslage (vgl. auch die §§ 129, 130 BRAGO) dahin zu verstehen, daß die Wahlanwaltsvergütung als gestundet anzusehen ist (so Riedel/Sußbauer/Chemnitz, BRAGO, 7. Aufl., § 130 Rn. 4). Jedenfalls besteht trotz der Prozeßkostenhilfebewilligung ein Vergütungsanspruch nach § 6 Abs. 3 BRAGO, den der Anwalt unter den Voraussetzungen des § 126 ZPO z. B. auch gegenüber dem unterlegenen Prozeßgegner geltend machen kann.
Zwischen der Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt wird, und der Partei, für die dies nicht geschieht, besteht - wie auch sonst - ein gesamtschuldnerisches Verhältnis in bezug auf den Betrag, den der Rechtsanwalt gleichmäßig von jedem einzelnen Auftraggeber fordern kann (Riedel/Fraunholz aaO. § 6 Rn. 50). Erfüllt die vom Anwalt nach § 6 Abs. 3 BRAGO in voller Höhe in Anspruch genommene Partei, die sich nicht auf § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO berufen kann, die Honorarforderung (Wahlanwaltsvergütung), so kann sie ihrerseits den auf den Streitgenossen entfallenden Anteil - bei gleicher Beteiligung rund die Hälfte - der Kosten erstattet verlangen. Die Prozeßkostenhilfebewilligung schützt die bedürftige Partei nicht vor einem solchen Rückgriff (so wie hier OLG München aaO., LG Berlin aaO., Rönnebeck aaO.). Übernimmt die Staatskasse nur den Mehrvertretungszuschlag, so werden Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilfe infolge der Rückgriffsmöglichkeiten unterlaufen. Diese Konsequenz hat die vom Bundesgerichtshof vertretene Auffassung, denn gesetzliche Bestimmungen, die dem Streitgenossen den Rückgriff untersagen, fehlen. Man wird § 6 Abs. 3 BRAGO zwar als abdingbar ansehen können. Allerdings dürften Fälle, in denen ein Abbedingungsakt feststellbar ist, in der Praxis kaum vorkommen (dazu ausfü...