Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorherige richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme eines Ausländers bei angekündigter Zurückschiebung - Verhältnis der Haftgründe des § 62 AufenthG
Leitsatz (amtlich)
1. Die aus § 24 OBG NW i.V.m. § 35 PolG NW folgende Befugnis der Ausländerbehörden zur vorläufigen Ingewahrsamnahme eines Ausländers (OLG Köln, Beschl. v. 1.10.2004 - 16 Wx 195/04, OLGReport Köln 2005, 99 = JMBl. NW 2005, 34) besteht nur in Fällen einer "Spontanfestnahme". Eine vorherige richterliche Entscheidung ist jedoch dann erforderlich, wenn sie ohne weiteres hätte eingeholt werden konnte (hier: wegen einer am Tag vorher angekündigten Zurückschiebung des Ausländers aus einem Nachbarland).
2. Der allgemeine Haftgrund der "Fluchtgefahr" des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG ist neben den speziellen Haftgründen der Nrn. 1 bis 4 anwendbar.
Normenkette
FEVG § 13; OBG-NW § 24; PolG-NW § 35; AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1, § 62 Nrn. 1-5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Aachen vom 4.4.2005 (3 T 465/04) abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen am 24.11.2004 bis zum Erlass des Haftbeschlusses des AG Aachen am selben Tage sowie die Aufrechterhaltung der Haft ab dem 24.1.2005 rechtswidrig waren.
Das weiter gehende Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten für die beiden Beschwerdeverfahren sind vom Betroffenen zu 50 % zu erheben. Die außergerichtlichen Kosten des Erstbeschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller dem Betroffenen zu 50 % zu erstatten. Dem Betroffenen seinerseits werden die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Beschwerdeinstanzen zu 50 % auferlegt.
Dem Betroffenen wird auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde bewilligt, soweit es sich gegen die Entscheidung des LG zu seiner Ingewahrsamnahme am 24.11.2004 und gegen die Fortdauer der Haft über den 24.1.2005 hinaus richtet. Der weiter gehende Prozesskostenhilfeantrag wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Betroffene wurde am 24.11.2004 aus Belgien, wo er sich in den zurückliegenden Monaten aufgehalten hatte, nach vorheriger Ankündigung in das Bundesgebiet überstellt und bei seiner Ankunft in Aachen durch Vollzugsbeamte der Stadt vorläufig festgenommen. Durch Beschluss des AG Aachen vom gleichen Tage wurde gegen den Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung in dem angegriffenen Beschluss verwiesen.
Das LG hat auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen sowohl die vorläufige Ingewahrsamnahme als auch die Anordnung der Haft mit der angegriffenen Entscheidung - auf die wegen aller weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - für rechtmäßig erachtet. Dagegen wendet sich der - inzwischen, nämlich am 19.5.2005, nach Nepal zurückgeführte - Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde. Zugleich beantragt er für die Durchführung des Weiteren Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II. Die gem. §§ 3 S. 2, 7 Abs. 1 FEVG, 106 Abs. 2 AufenthG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als sich der Betroffene gegen die vorläufige Freiheitsentziehung am 24.11.2004 sowie gegen die über den 24.1.2005 hinaus andauernde Inhaftierung wendet. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der bis zum 24.1.2005 wirkenden Haftanordnung des AG Aachen bleibt sie erfolglos.
1. Der auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme gerichtete Antrag des Betroffenen ist zulässig. Insbesondere besteht im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen des § 13 Abs. 2 FEVG ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Feststellung einer bereits beendeten Ingewahrsamnahme durch die Ausländerbehörde (KG v. 22.3.2002 - 25 W 218/01, KGReport Berlin 2003, 174; Marschner/Volkart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 13 FEVG Rz. 4; OLG Köln, Beschl. v. 1.10.2004 - 16 Wx 195/04, OLGReport Köln 2005, 99).
Der Antrag ist auch begründet, denn der Antragsteller war nicht befugt, den Betroffenen bis zur richterlichen Entscheidung über seinen Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft gem. § 57 AuslG vorläufig in Gewahrsam zu nehmen. Eine solche Befugnis kann sich zwar nach der Rechtsprechung des Senates (OLG Köln, Beschl. v. 1.10.2004 - 16 Wx 195/04, OLGReport Köln 2005, 99 = JMBl NRW 2005, 34) grundsätzlich aus § 24 OBG NW i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW ergeben. Im vorliegenden Fall bestand für den Antragssteller jedoch die Möglichkeit, bereits vor der Einreise des Betroffenen am 24.11.2005 eine richterliche Entscheidung über eine Haftanordnung herbeizuführen, denn er war bereits einen Tag zuvor, nämlich am 23.11.2004, über die anstehende Rücküberstellung informiert worden. Eine vorläufige behördl...