Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslieferung. Ukraine. Kriegsdienst. Verweigerung. Haftbedingungen. Ferngerichtsverhandlung. Videoübertragung
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit der Auslieferung an die Ukraine. Gewährleistung eines fairen Strafverfahrens im Fall der Ferngerichtsverhandlung.
Normenkette
GG Art. 4 Abs. 3; IRG § 73 S. 1; EMRK Art. 3
Tenor
Die Auslieferung des ukrainischen Staatsangehörigen R. S. an die Ukraine zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der dem Haftbefehl des Untersuchungsrichters des Q.-Bezirksgerichts in L. vom 04.08.2023 (Fall Nr. 554/32-88/23) zugrunde liegenden Tat vom 25.12.2022 wird für zulässig erklärt.
Gründe
I.
Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ersucht um Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung. Dem liegt der nationale Haftbefehl des Untersuchungsrichters des Gerichts in L. vom 04.08.2023 (Fall Nr. 554/32-88/23, Bl. 393 ff. d.A.) zugrunde. Dem Verfolgten wird darin vorgeworfen, sich am Vormittag des 25.12.2022 in L. in gemeinsamer Absprache mit R.S. G. in die Wohnung des V.V. F., Z.-straße XX, begeben zu haben, wo sie diesen unter Vorhalt eines Messers bedroht und zur Herausgabe aller vorhandenen Gelder aufgefordert hätten. In diesem Zusammenhang soll G. den Geschädigten mit einem Messer zweimal in den Gesäßbereich gestochen und diesem mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Unter Fortsetzung der Gewalthandlungen hätten der Verfolgte und G. sodann den Geschädigten zur Überweisung von 44.000 US-$ auf ein vorgegebenes Konto gezwungen. Hierzu habe der Geschädigte den QR-Code eines Kontos vom bereitgestellten Mobiltelefon des Verfolgten scannen müssen. Darüber hinaus habe G. Bargeld in Höhe von 5.500 US-$ und 40.000 UAH gefunden, welches er für sich und den Verfolgten an sich genommen habe.
Dem Auslieferungsersuchen ist eine internationale polizeiliche Ausschreibung des Verfolgten in Form der Red Notice vom 17.05.2024 - Interpol-File-Nr. 2024/31261 - (Bl. 3 f. d.A.) vorausgegangen. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat in diesem Zusammenhang gegen den Verfolgten mit Beschluss vom 10.06.2024 zunächst einen vorläufigen Auslieferungshaftbefehl erlassen. Hierin hat er ausgeführt, dass trotz der grundsätzlichen Bewilligungsfähigkeit ukrainischer Auslieferungsersuchen im Hinblick auf die derzeitige politische Lage in der Ukraine und das dortige Kriegsgeschehen ergänzende Auskünfte und Zusicherungen der ukrainischen Behörden geboten seien. Hierauf sind durch das Bundesamt für Justiz mit Schreiben vom 25.06.2024 Nachfragen veranlasst worden, die zum Teil auch über die seitens des Senats erbetenen Informationen hinausgegangen sind.
Bereits am 24.06.2024 ist der Verfolgte festgenommen und am selben Tage vor dem Amtsgericht Brühl zu dem vorläufigen Auslieferungshaftbefehl richterlich angehört worden. Dort hat er sich nach Bestellung von Herrn Rechtsanwalt C. A. mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes nicht verzichtet. Zu seinen persönlichen Verhältnissen hat er ausgeführt, er sei verheiratet, Vater eines einjährigen Kindes und lebe mit seiner Ehefrau in einer gemeinsamen Wohnung in I.. Von Beruf sei er Student (Personalmanagement); in der Bundesrepublik Deutschland habe er online weiter studiert. Sein monatliches Einkommen betrage derzeit 500 €, welches er vom Jobcenter erhalte. Er erhebe Einwendungen gegen die Auslieferung.
Mit Schreiben vom 10.07.2024 (Nr. 19/1/2-26643-24) hat die Generalstaatsanwalt der Ukraine sodann unter Beifügung weiterer Auslieferungsunterlagen förmlich um Auslieferung des Verfolgten ersucht. Hierauf und mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden ergänzenden Auskünfte und Zusicherungen der ukrainischen Behörden hat der Senat am 18.07.2024 beschlossen, dass die vorläufige Auslieferungshaft als Auslieferungshaft fortdauert.
Unter dem 01.08.2024 hat der Rechtsbeistand beantragt, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben, hilfsweise diesen "gemäß § 116 StPO" außer Vollzug zu setzen, und Einwendungen gegen die Auslieferung vorgebracht. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Haftgrund der Fluchtgefahr bestünde nicht. Im Hinblick auf die im Falle einer Verurteilung zu erwartende Strafe sei zu berücksichtigen, dass der Verfolgte im Tatzeitpunkt erst 19 Jahre alt gewesen sei. Damit stellten sich jugendstrafrechtliche Fragen. Auch sei aus den bisherigen Unterlagen ein konkreter Tatbeitrag des Verfolgten nicht erkennbar. Aufgrund des Zusammenlebens mit seiner Frau und seinem bereits in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Sohn sei zudem unwahrscheinlich, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren durch Flucht entziehen würde, zumal die Voraussetzungen zum Überleben der Familie im europäischen Ausland wesentlich schlechter seien als in der Bundesrepublik Deutschland. Hinzu komme, dass der Verfolgte im Falle einer Auslieferung damit rechnen müsse, zum Kriegsdienst herangezogen zu werden. Dieser habe indes in der Ukraine den Kriegsdienst verweigert. Zudem hat de...