Leitsatz (amtlich)

Eine Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB kommt nicht in Betracht, wenn bei einem Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie das Kindeswohl gefährdet würde wegen eines im Wesentlichen von der Pflegemutter zu verantwortenden massiven Loyalitätskonflikts des Kindes zwischen ihr und der Kindesmutter, nicht altersentsprechender sozialer Beziehungen des Kindes und einer von Anpassung und Hinnehmen der belastenden Situation geprägten Haltung des Kindes, die bereits zu psychischen Beeinträchtigungen des Kindes geführt haben. Der Wille des 14-jährigen Kindes, in der Pflegefamilie bleiben zu wollen, ist bei dieser Sachlage nicht maßgeblich, weil die Befolgung des Kindeswillens zu einem Kindeswohl gefährdenden Zustand führen würde.

 

Normenkette

BGB § 1632 Abs. 4

 

Verfahrensgang

AG Aachen (Beschluss vom 16.11.2015; Aktenzeichen 221 F 318/15)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Aachen vom 16.11.2015 - 221 F 318/15 - wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die nach den §§ 57, 58 ff FamFG statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das AG hat, nachdem die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter in Ausübung ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts K am 30.9.2015 aus der Pflegefamilie genommen hat und das Kind nunmehr in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt, zu Recht und mit zutreffender Begründung den Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB im Wege der einstweiligen Anordnung und Herausgabe des Kindes an die Pflegeeltern mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.

Bei einer Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 BGB verlangen die Grundrechte eine Auslegung der Regelung, die sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trägt.

Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils an der Herausgabe des Kindes und dem Kindeswohl ist bei der Auslegung von gesetzlichen Regelungen im Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG in gleicher Weise wie bei Entscheidungen des Gesetzgebers zu beachten, dass das Wohl des Kindes letztlich bestimmend sein muss. Auch wenn die Trennung von seiner unmittelbaren Bezugsperson für das Kind regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet, darf dies allein nicht genügen, die Herausgabe des Kindes zu verweigern, weil andernfalls die Zusammenführung von Kind und Eltern immer dann ausgeschlossen wäre, wenn das Kind seine "sozialen Eltern" gefunden hätte. Das schließt indessen nicht aus, dass § 1632 Abs. 4 BGB selbst Entscheidungen ermöglichen muss, die aus der Sicht der Eltern nicht akzeptabel sind, weil sie sie in ihrem Elternrecht beeinträchtigen. Mit Blick auf das betroffene Kindeswohl ist vielmehr zu differenzieren, ob das Kind von der Pflegefamilie in den Haushalt seiner Eltern - beziehungsweise ihnen grundrechtlich gleichgestellter Personen - oder in eine andere Pflegestelle wechseln soll. Danach bestimmt sich das Maß der Unsicherheit über mögliche Beeinträchtigungen des Kindes, das unter Berücksichtigung seiner Grundrechtsposition hinnehmbar ist. Die Risikogrenze ist generell weiter zu ziehen, wenn die leiblichen Eltern oder ein Elternteil wieder selbst die Pflege des Kindes übernehmen wollen. Eine andere Ausgangslage ist aber dann gegeben, wenn das Kind nicht in den Haushalt von Vater und Mutter aufgenommen werden soll, sondern lediglich seine Unterbringung in eine neue Pflegestelle bezweckt wird, ohne dass dafür wichtige, das Wohl des Kindes betreffende Gründe sprechen. Die Durchsetzung des Personensorgerechts nach § 1631 Abs. 1 BGB in der Form des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist in einem solchen Fall mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn mit hinreichender Sicherheit bei Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern eine Gefährdung des Kindeswohls ausgeschlossen werden kann (BVerfG, FamRZ 1987, 786 ff. und FamRZ 2004, 771 ff.).

Gemessen hieran hat das AG in nicht zu beanstandender Weise auf der Grundlage des Akteninhalts und insbesondere der fachlichen Stellungnahmen des Jugendamtes und des Verfahrensbeistands Dipl. Pädagogin N sowie des Ergebnisses der Anhörung des Kindes K festgestellt, dass bei einem Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie bei einer unveränderten Gesamtsituation hier vielmehr das Wohl des Kindes gefährdet würde wegen des im Wesentlichen von der Pflegemutter zu verantwortenden massiven Loyalitätskonflikts vornehmlich zwischen der Pflegemutter und der Kindesmutter, durch den das Kind erheblich belastet würde, wegen nicht altersentsprechender sozialer Beziehungen des Kindes sowie der gesamten psychosozialen Situation Ks, die von Anpas...

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