Entscheidungsstichwort (Thema)
Kausalität bei unzureichender Aufklärung über Behandlungsalternativen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Cerclage stellt gegenüber einer rein konservativen Behandlung mit Ruhigstellung der Schwangeren eine echte Behandlungsalternative dar und nicht bloß eine im Ermessen des Arztes stehende Behandlungsmethode.
2. Wird eine Schwangere wegen drohender Frühgeburt stationär aufgenommen und ist zu diesem Zeitpunkt eine Cerclage wegen einer genitalen Infektion kontraindiziert, so muss sie über die Alternative einer Cerclage (gegenüber einer bloßen Ruhigstellung) spätestens dann aufgeklärt werden, wenn die Entzündung abgeklungen ist und eine Cerclage als Behandlungsalternative ernsthaft in Betracht kommt.
3. Eine Behandlung durch bloße Ruhigstellung der Schwangeren mit medikamentöser Behandlung zur Bekämpfung von Geburtsbestrebungen ist ein Umstand, der für eine zu einem bestimmten Zeitpunkt eintretende Frühgeburt ursächlich ist. Es obliegt dann der Behandlerseite nachzuweisen, dass derselbe (durch die Frühgeburt verursachte) Schaden auch eingetreten wäre, wenn eine ordnungsgemäße Aufklärung über die Möglichkeit einer Cerclage erfolgt wäre.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 611, 823; BGB a.F. § 847
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 07.01.2009; Aktenzeichen 25 O 497/04) |
BGH (Aktenzeichen ZR 63/11) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 7.1.2009 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 497/04 - aufgehoben.
II.1. Der Antrag des Klägers, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger den infolge der fehlerhaften geburtshilflichen Betreuung seiner Mutter in der Vergangenheit entstandenen und zukünftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht aufgrund sachlicher und zeitlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
III. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen des Vorwurfs geburtshilflicher und pädiatrischer Behandlungsfehler bei seiner Geburt auf Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden in Anspruch.
Die am 10.3.1959 geborene Mutter des Klägers, Frau T Ta, begab sich am 17.5.1993 in der 26. Schwangerschaftswoche auf Überweisung des sie während der Schwangerschaft betreuenden niedergelassenen Gynäkologen mit der Diagnose vorzeitiger Wehentätigkeit und Zervixinsuffizienz und der Therapieempfehlung "Tokolyse und Cerclage" in das Evangelische Krankenhaus in Köln-Kalk. Nach dort eingeleiteter intravenöser Tokolyse und Celestangabe zur Lungereifeinduktion mit dem Ziel der RDS-Prophylaxe des Kindes wurde die Patientin in die Frauenklinik der Beklagten zu 1. in L. verlegt. Dort erfolgte um 14 Uhr eine Vaginaluntersuchung mit dem Befund "4 - 5 cm, weiche Fruchtblase im CK tastbar. Z Zt. Kein Druck nach unten". Es erfolgte erneut die Anordnung einer intravenösen Tokolyse sowie die Fortsetzung der Celestanprophylaxe. Am 18.5.1993 fand erneut eine vaginale Untersuchung statt mit dem Befund: Portio weich, Muttermund 2 cm, unteres Uterinsegment etwas belastet. Zu dem Befund von 18.00 Uhr heißt es: Portio fast aufgebraucht, Muttermund 2 cm, Blase relativ prall, unteres Uterinsegment deutlich belastet. Der Leukozytenwert lag bei 20.100. Am 19.5.1993 wurde die Mutter des Klägers dem Beklagten zu 2. zur Klärung der Indikation zur Cerclage vorgestellt, der als Befund: " MM 3 cm, Fruchtblase weich" dokumentierte. Die Dosis der Tokolyse wurde wegen schlechter Verträglichkeit reduziert. Von einer Cerclage wurde wegen Polyhydramnie und fraglicher Minusdiskrepanz abgesehen. Der Leukozytenwert lag bei 21.100, der CRP-Wert bei 73,8. Bis zum 30.5.1993 hielt die Patientin strikte Bettruhe. Es erfolgten Lagewechsel und zeitweise die Erhöhung der Tokolysedosis. Am 30.5.1993 um 21.30 Uhr wurde die Patientin mit Schmerzen und vollständig eröffneten Muttermund in den Kreissaal verlegt. Sie unterzeichnete eine schriftliche Einverständniserklärung für einen Kaiserschnitt. Um 22.26 Uhr wurde sie im Wege des Kaiserschnittes vom Kläger entbunden. Ein in der Frauenklinik erhobener Apgar-Wert ist nicht dokumentiert. Ebenso erfolgte dort weder die Erhebung des Nabelschnur-pH-Wertes noch eine Blutgasanalyse. Der Zustand des Klägers wurde als "schlaff, zyanotisch, ohne Eigenatmungsbestrebungen" beschrieben. Der Kläger wurde in das Perinatalzentrum verlegt. Der genaue Zeitablauf ist streitig. In dem neon...