Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung - Beweislast
Leitsatz (amtlich)
Eine Beweislastumkehr (Verschuldensvermutung) aus dem Gesichtspunkt des voll beherrschbaren Risikobereichs setzt den Vollbeweis voraus, dass der Schaden in diesem Bereich verursacht worden ist. Beweisbelastet ist der geschädigte Patient.
Zur Beweisführung genügt nicht die bloße Feststellung im abschließenden ärztlichen Bericht, es sei während des stationären Aufenthalts zu einer Wadenprellung gekommen, wenn bei längerer Verweildauer nicht mehr festgestellt werden kann, wann und bei welcher Gelegenheit der Schaden (hier: Kompartment-Syndrom) gesetzt worden ist. Die nicht weiter belegte Möglichkeit, der Schaden könne durch das Ablegen oder die Lagerung auf dem Operationstisch verursacht worden sein, genügt nicht.
Normenkette
BGB §§ 280, 823; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 26.09.2007; Aktenzeichen 25 O 484/04) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 26.9.2007 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 486/04 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 1.12.1965 geborene Klägerin wurde am 25.6.1993 im Krankenhaus der Beklagten notfallmäßig durch Kaiserschnitt entbunden. Der Arzt Dr. U hatte die Klägerin zuvor aus dem Wehenzimmer in den etwa 15 Meter entfernten Operationssaal getragen und sie auf dem Operationsstuhl abgelegt. Wegen starker, durch eine Gerinnungsstörung bedingter Blutungen musste unmittelbar nach der Geburt die Gebärmutter entfernt werden. In den folgenden Tagen waren beide Beine der Klägerin geschwollen und druckschmerzhaft, vor allem der rechte Unterschenkel. Die behandelnden Ärzte führten am 26.6.1993 eine Dopplersonografie durch, holten am 2.7.1993 ein gefäßchirurgisches Konsil mit anschließender Phlebografie (5.7.1993) und am 7.7.1993 ein chirurgisches Konsil ein. Letzteres ergab keinen Hinweis auf ein Kompartment-Syndrom oder eine Thrombose, nachdem zuvor teils der Verdacht auf eine Unterschenkelthrombose dokumentiert worden war. Am 14.7.1993 verließ die Klägerin das Krankenhaus. Anfang 1997 ergab eine kernspintomografische Untersuchung der rechten Wade der Klägerin eine ausgeprägte Nekrose des Musculus soleus.
Die Klägerin hat die Beklagte und die ehemaligen Beklagten zu 2) bis 5) auf Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens und Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Sie hat ihnen im Wesentlichen vorgeworfen, durch heftiges Aufschlagenlassen der Waden auf die Beinhalterungen des Operationstisches oder durch eine unsachgemäße Lagerung der Beine ein Kompartment-Syndrom (mit-)verursacht zu haben, das anschließend trotz ausreichender Hinweise nicht erkannt und deshalb nicht behandelt worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 35.000 EUR nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie weitere 21.762,08 EUR zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche weiteren vergangenen und alle künftigen materiellen Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Die Beklagte und die ehemaligen Beklagten zu 2) bis 5) haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben einen Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Insbesondere sei die Lagerung der Klägerin ohne besondere Vorfälle, etwa ein Aufschlagen der Beine, erfolgt. Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben.
Das LG hat das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A vom 7.11.2005 (Bl. 125 ff. d.A.) eingeholt und den Sachverständigen angehört (Bl. 180 f. d.A.).
Daraufhin hat das LG die Klage abgewiesen. Ein Behandlungsfehler sei nicht festzustellen. Dies gelte selbst dann, wenn man - wie der Sachverständige - die streitige Tatsache zugrunde lege, dass die Klägerin bei der Lagerung zur Durchführung der Sectio-Entbindung mit den Beinen auf den Operationstisch aufgeschlagen sei, was nach den Ausführungen des Sachverständigen allenfalls zu einem Bagatelltrauma geführt haben könne. In einer Notsituation könne der schonendste Umgang mit dem Patienten nicht immer bis ins Detail gewährleistet werden. Im Übrigen sei die Tatsache, dass Dr. U die Klägerin nicht sorgfältig auf dem Operationstisch abgelegt habe, kaum substantiiert vorgetragen, streitig und nicht unter Beweis gestellt....