Leitsatz (amtlich)
1. Eine allein auf die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 1578 BGB gestützte Abänderungsklage nach § 323 ZPO ist jedenfalls seit dem Beschluss des BverfG vom 5.2.2002 (BVerfG v. 5.2.2002 – 1 BvR 105/95, FamRZ 2002, 527 ff.) auch gegenüber Urteilen zulässig.
2. Bei einer Abänderung rechtskräftiger Titel allein aus diesem Anlass ist eine erweiterte Billigkeitsprüfung im Hinblick auf diejenigen Dispositionen geboten, die der Unterhaltsschuldner im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage gemacht hat.
Normenkette
BGB § 1578; ZPO § 323
Verfahrensgang
AG Düren (Aktenzeichen 23 F 94/02) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des AG – FamG – Düren vom 11.4.2002 (23 F 94/02) aufgehoben und zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das AG Düren zurückverwiesen.
Gründe
Die nach § 127 II S. 2 ZPO n.F. statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen, wenigstens vorläufigen Erfolg.
Das AG hat die beantragte Prozesskostenhilfe für die von der Klägerin aus Anlass der Änderung der Rechtsprechung zur Anwendung der Differenzmethode auf die sogenannte Hausfrauenehen erhobene Abänderungsklage gegenüber dem Urteil des AG Düren vom 12.3.2001 (AG Düren v. 12.3.2001 – 23 F 51/00) verweigert, weil es sich dabei nicht um eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse handele, die Voraussetzung für den abändernden Eingriff nach § 323 ZPO in die Rechtskraft eines Urteils sei.
Mit dieser Begründung durfte das AG die begehrte Prozesskostenhilfe nicht verweigern.
Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit sich im einzelnen eine Änderung der Rechtsprechung des BGH als alleiniger Abänderungsgrund für rechtskräftige Urteile oder von den Parteien geschlossene gerichtliche Vergleiche auswirkt (vgl. dazu BGH v. 26.1.1983 – IVb ZR 344/81, MDR 1983, 830 = FamRZ 1983, 569 [573]; v. 5.9.2001 – XII ZR 108/00, BGHReport 2001, 959 = MDR 2002, 94 = FamRZ 2001, 1687; OLG Stuttgart v. 28.12.2001 – 16 WF 548/01, NJW 2002,1354f; Büttner, NJW 2001, 3244; Luthin, FamRZ 2001, 1065; Scholz, FamRZ 2001, 1061 [1064]; Rauscher, FuR 2001, 438, Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 323 Rz. 32, jeweils mit weiteren Nachweisen zu dieser Streitfrage). Denn jedenfalls für den hier vorliegenden Fall, dass auch das BVerfG die neue Auslegung unverändert gebliebener Gesetze zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse für geboten erklärt, sind mit der Entscheidung des BVerfG die Voraussetzungen des § 323 ZPO auch für die Abänderung rechtskräftiger Urteile gegeben (so schon BGH v. 12.7.1990 – XII ZR 85/89, MDR 1991, 246 = FamRZ 1990,1091 [1094] und übereinstimmend die ganz herrschende Meinung mit Ausnahme von Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl. § 323 Rz. 23, der die Änderung der Rechtsprechung des BVerfG über § 767 ZPO berücksichtigen will). Das bedeutet, dass in Abänderungsverfahren dann keine Bindung mehr an die frühere rechtliche Beurteilung eines unveränderten tatsächlichen Umstandes besteht, wenn sich zwar der Wortlaut der zugrunde liegenden Vorschrift (hier: § 1578 BGB) nicht geändert hat, jedoch das BVerfG zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse ein anderes Verständnis der Norm für geboten erklärt.
Mit seinem Beschluss vom 5.2.2002 hat das BVerfG ausgeführt, dass die bisherige Rechtsprechung des BGH zu der Frage, ob der wirtschaftliche Wert der Haushaltsführung und Kinderbetreuung durch den nicht erwerbstätigen Ehegatten als eheprägend anzusehen sei, gegen Art. 6 I GG i. V. mit Art 3 II GG verstoße und jedenfalls inzwischen dem gesellschaftlich gewandelten Ehebild in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr gerecht werde.
Damit ist die Abänderungsklage der Beschwerdeführerin auch ohne Änderung der tatsächlichen Umstände zulässig. Denn es kann nicht Sinn der Rechtskraft von Urteilen sein, die für Dauerschuldverhältnisse ergangenen sind, verfassungswidrige Verhältnisse für die Zukunft auch dann aufrecht zu halten, wenn sich bei einer weit gefassten Norm, die bisher eine bestimmte gefestigte Auslegung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfahren hat, jetzt eine andere Auffassung durchsetzt und diese sogar von dem BVerfG zu Vermeidung verfassungswidriger Verhältnisse für erforderlich erachtet wird, nur weil es sich hierbei nicht um eine Gesetzesänderung handelt.
Allerdings wird man in diesen Fällen – worauf Luthin, FamRZ 2001, 1065 besonders hinweist -eine erweiterte Billigkeitsprüfung im Hinblick auf diejenigen Dispositionen vorzunehmen haben, die ein Unterhaltsschuldner im Vertrauen auf den Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des darauf beruhenden Unterhaltstitels gemacht hat.
Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt dem AG Gelegenheit, den Prozesskostenhilfeantrag unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze erneut unter allen Aspekten zu prüfen.
v. Olshausen
Fundstellen