Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Anspruch auf Verdienstausfall und Schmerzgeld nach Verkehrsunfall; Zögerliches Regulierungsverhalten als das Schmerzensgeld erhöhender Umstand; Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung in Schlussurteil bei vorausgegangenem Teilurteil
Leitsatz (amtlich)
Die materielle Berechtigung des Klägers, Ansprüche auf Verdienstausfall gegen die Beklagte geltend zu machen, kann dann entfallen, wenn der Sozialversicherungsträger dem Kläger eine Verletztenrente zahlen würde. Stellt sich aber heraus, dass eine zeitlich und sachlich kongruente Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers nicht besteht, so fallen die - im Zeitpunkt des Unfalls nur auflösend bedingt auf den Versicherungsträger übergegangenen - Schadensersatzansprüche des Geschädigten wieder an diesen zurück.
Für die Frage, wie die berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis verlaufen wäre, bedarf es einer Prognose entsprechend dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, insbesondere auf der Grundlage dessen, was zur Ausbildung und bisherigen beruflichen Situation des Betroffenen festgestellt werden kann. Dabei muss der Geschädigte zwar soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen für diese Prognose dartun. Die insoweit zu stellenden Anforderungen dürfen indes gerade dann nicht überspannt werden, wenn sich der Geschädigte noch in der Ausbildung befindet, weil er dann regelmäßig nur wenige Anhaltspunkte dafür darzutun vermag, wie sich seine berufliche Entwicklung voraussichtlich gestaltet hätte. Es genügt für die Annahme, dass der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis den behaupteten Berufsweg eingeschlagen hätte, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit.
Soweit die Rechtsprechung davon ausgeht, dass im Hinblick auf die Unsicherheit der beruflichen Entwicklung verbleibenden Risiken mit einem gewissen Abschlag Rechnung zu tragen ist, bezieht sich dies allein auf Unwägbarkeiten bei der Höhe der ohne das Unfallereignis voraussichtlich zu erzielenden und deshalb den Umfang der durch den Unfall entgangenen Einkünfte. Bestehen dagegen keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen dafür, dass dem Geschädigten unfallbedingt überhaupt ein Mehreinkommen entgangen ist, so kann mangels Vorliegens der Grundvoraussetzungen einer Schadensschätzung nach auch kein Teilbetrag als entgangener Verdienst zugesprochen werden.
Es ist anerkannt, dass bei Unfällen vor Eintritt in das Berufsleben gem. § 287 ZPO zu schätzen ist, wie der berufliche Weg des Geschädigten voraussichtlich verlaufen wäre, wobei die Anforderungen an die Schätzgrundlagen nicht überspannt werden dürfen. Hierzu gehört auch die Beantwortung der Frage, ob der Geschädigte früher ins Erwerbsleben eintreten wäre, wenn der Unfall nicht stattgefunden hätte. Der Soll-Verlauf, wie er ohne den Unfall eingetreten wäre, und der Ist-Verlauf nach dem Unfall sind dabei zu vergleichen und es sind dabei auch Einkommensreduzierungen oder -verzögerungen zu berücksichtigen, die ohne den Unfall eingetreten wären.
Eine ungebührliche Verzögerung der Regulierung rechtfertigt eine Erhöhung des ermittelten Schmerzensgelds, wobei "ungebührliche Verzögerung" nur dann anzunehmen sein kann, wenn die unterbliebene Regulierung nicht auf - zulässiges - Verteidigungsvorbringen gestützt werden kann.
Wird von der Möglichkeit der Erlasses eines Teilurteils Gebrauch gemacht und erst im Schlussurteil über die Kosten entschieden, so kann die im Schlussurteil enthaltene Kostenentscheidung für sich allein angefochten werden, wenn auch gegen das Teilurteil ein Rechtsmittel anhängig ist
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 11; BGB §§ 158, 249, 252, 832; PflVG a.F. § 3 Nr. 1; VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 27.08.2009; Aktenzeichen 22 O 647/08) |
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Teilverzichts- und Teilurteil des LG Köln vom 27.8.2009 (-22 O 647/08) sowie das Schlussurteil des LG Köln vom 16.12.2010 (-22 O 647/08) werden die beiden Urteile teilweise abgeändert und einheitlich insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag für erlittenen Verdienstausfall i.H.v. Euro 11.544 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2009 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger einen Schmerzensgeldbetrag i.H.v. Euro 16.000 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2009 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihm in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 22.4.1982 auf der S-Straße in H entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Ersatz für die durch die außergerichtliche Rechtsverfolgung entstandenen Kosten i.H.v. Euro 1.641,96 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die weiter gehenden Berufungen werden zurückgewiesen...