Leitsatz (amtlich)

Den Frachtführer trifft der Vorwurf qualifizierten Verschuldens mit der Folge der unbeschränkten Haftung nach Art. 29 CMR für den Verlust des Transportguts durch Diebstahl, wenn der Fahrer den nicht durch Alarmanlage gesicherten, nur mit einer Plane gedeckten Lkw über Nacht in einer dunklen und menschenleeren Nebenstraße eines 20 bis 30 km vom Stadtzentrum Istanbuls entfernt gelegenen Industriegebiets unbewacht abstellt.

 

Normenkette

CMR Art. 29

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 87 O 179/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.2.2002 verkündete Grundurteil der 7. Kammer für Handelssachen des LG Köln – 87 O 179/00 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin, Transportversicherer der Firma A. Krawatten und Seidenweberei P. GmbH & Co KG in L., nimmt die Beklagte als Frachtführerin auf Schadensersatz i. H. v. 129.630,56 DM nebst Zinsen wegen des Verlustes von Krawattenoberstoffen durch einen in der Nacht vom 23. auf den 24.10.1997 in M. bei Istanbul begangenen Diebstahl in Anspruch. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Grundurteil der 7. Kammer für Handelssachen des LG Köln – 87 O 179/00 – (Blatt 245 ff. d.A.) Bezug genommen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren auf Klageabweisung gerichteten Antrag weiter. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Urkunden Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das LG die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. An der grundsätzlichen Haftung der Beklagten gem. Art. 17, 23 CMR bestehen keine Zweifel. Die Klägerin hat ausreichend zum Wert des gestohlenen Gutes gem. Art. 23 Abs. 2 CMR vorgetragen. Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung gem. Art. 23 Abs. 3 CMR, also das Gewicht der gestohlenen Stoffe, ist die Beklagte (vgl. Herber/Pieper, CMR, Art. 23 Rz. 22; Koller, Transportrecht, 4. Aufl., CMR, Art. 23 Rz. 9). Hierzu hat die Beklagte aber nichts vorgetragen.

Der Senat bejaht übereinstimmend mit dem LG auch ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten i.S.v. Art. 29 CMR. Für die Frage, welches Verschulden dem Vorsatz gleichsteht, kommt es auf die Rechtslage an, die bis zum 30.6.1998 – vor Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes – bestanden hat, da der Frachtvertrag im Oktober 1997 geschlossen worden ist (vgl. Freymuth/Thume, Transportrecht, Art. 29 CMR Rz. 4 und 19a). Nach der st. Rspr. des BGH stand dem Vorsatz die grobe Fahrlässigkeit gleich. Sie liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in einem besonders schweren Maße verletzt wird, bei der einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige unbeachtet bleibt, was jedem im gegebenen Fall einleuchten musste (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl., CMR, Art. 23 Rz. 3 ff.; KG KGReport 1995, 65 [67]). Die Beweislast hierfür trifft den Geschädigten. Nach herrschender Meinung trifft den Frachtführer aber eine sekundäre Darlegungsobliegenheit, substantiiert mit Namen und Anschrift der beteiligten Personen vorzutragen, welche Sorgfalt er bzw. seine Leute aufgewendet haben. Kommt er dieser nicht nach, ist ein qualifiziertes Verschulden zu vermuten (Koller, Transportrecht, 4. Aufl., CMR, Art. 23 Rz. 7).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihrer diesbezüglichen Darlegungslast nicht voll genügt. Sie hat den Fahrer selbst nicht als Zeugen benannt, sondern sich auch im Berufungsverfahren nur auf das Zeugnis des Zeugen T., des Bruders ihres Geschäftsführers, berufen, der nach eigenen Angaben nicht der Fahrer des fraglichen Sattelzuges war. Dass der Fahrer über Nacht im Lkw geschlafen habe, ist eine bloße Vermutung des Zeugen. Es fehlen jegliche näheren Angaben dazu, wann der Fahrer angekommen ist, wie er sich anschließend verhalten hat und wann und von wem der Diebstahl entdeckt worden ist. Aus dem Polizeiprotokoll (Blatt 23 f. d.A.) ergibt sich nur, dass der Einbruch in den Anhänger am 24.10.1997 gegen 8 Uhr gemeldet worden ist; von wem, wird nicht erwähnt, insbesondere ist der Fahrer nicht genannt. Angesichts dessen, dass die Polizei nicht ermitteln konnte, ob etwas entwendet worden war, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass der Fahrer, der über das Ladegut bescheid wusste und die diesbezüglichen Papiere wie den CMR-Frachtbrief (Blatt 22 d.A.) hatte, den Diebstahl gemeldet hat. Im Hinblick auf die dürftigen Angaben der Beklagten zum Schadenshergang ist nicht einmal ausgeschlossen, dass der Fahrer an der Tat beteiligt war, zumal nur die wertvollen Krawattenoberstoffe, nicht aber die geringerwertigen Futterstoffe und da...

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