Entscheidungsstichwort (Thema)
Unerlaubte Handlung
Leitsatz (amtlich)
Quotelung bei Verkehrsunfall zwischen Straßenbahn und stehendem Lkw mit Auflieger: Einstandspflicht jeweils zu gleichen Teilen.
Normenkette
StVG §§ 7, 17-18; StVO §§ 10, 49; BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 06.06.2012; Aktenzeichen 17 O 226/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6.6.2012 verkündete Urteil des LG Köln - 17 O 266/11 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 16.108,08 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.6.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. (abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)
II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 16.108,08 EUR zu, gegen die Beklagte zu 1) aus § 7 StVG, gegen den Beklagten zu 2) aus § 18 StVG und gegen die Beklagte zu 3) aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 3a Abs. 1 Satz 1 PflVG, § 115 VVG.
Im Rahmen der gebotenen Abwägung der Haftungsanteile nach § 17 Abs. 1, 4 StVG ergibt sich, dass vorliegend eine Haftungsverteilung von ½ zu ½ angemessen ist.
Auf Seiten der Beklagten sind erhebliche gefahrerhöhende Umstände zu berücksichtigen. Einem Lkw kommt grundsätzlich eine erhöhte Betriebsgefahr zu, die sich aus der Breite und den besonderen Anforderungen an die Manövrierfähigkeit erklären. Dies gilt namentlich auch im vorliegenden Fall, in dem der Lkw noch einen Auflieger hatte, der sich in eine andere Richtung dreht als die Zugmaschine. Hinzu kommt noch, dass der Auflieger breiter ist als die Zugmaschine, wie auf den zur Akte gereichten Lichtbildern des Unfallereignisses gut zu erkennen ist. Dies ist ein weiterer gefahrerhöhender Umstand, da die seitlichen Abstände deshalb für den Begegnungsverkehr nur schwer abzuschätzen sind. Diese Umstände waren auch unfallursächlich. Gerade die großen Ausmaße des Lkw haben es verhindert, dass der Beklagte zu 2) den Vorgang des Vorbeifahrens vollständig abschließen konnte, bevor er verkehrsbedingt halten musste. Hinzu kommt, dass die Zugmaschine bereits so weit auf die eigene Fahrspur zurückgekehrt war, dass die entgegenkommende Straßenbahn vornehmlich im Bereich des überstehenden Aufliegers mit dem Lkw kollidiert ist und in diesem Bereich die erheblichen Beschädigungen an der Straßenbahn aufgetreten sind. Angesichts des Umstands, dass sich im Unfallereignis gerade die durch die Breite und Schwerfälligkeit des Lkw samt Aufliegers erhöhte spezifische Betriebsgefahr, die sich auch aus den erhöhten Anforderungen an Vorgängen wie dem Vorbeifahren an einem Hindernis herleitet, realisiert hat, kommt es für die Abwägung der Haftungsanteile nicht mehr entscheidend darauf an, ob der Beklagte zu 2) mit dem nicht vollständig abgeschlossenen Vorgang des Vorbeifahrens gleichzeitig einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO oder § 6 Abs. 1 StVO begangen hat.
Auf Seiten der Klägerin ist die erhöhte Betriebsgefahr, die einer Straßenbahn als schienengebundenem Fahrzeug aufgrund ihres fehlenden Ausweichvermögens, ihrer großen Bewegungsenergie und ihres schwerfälligeren Bremsvermögens zukommt, zu berücksichtigen. Vorliegend hat sich jedenfalls das fehlende Ausweichvermögen mit unfallbegründend ausgewirkt.
Auch ist der Straßenbahnführerin, der Zeugin N, ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, der im Rahmen der Abwägung zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen ist. Die Zeugin N hätte erkennen können, dass der Lkw schräg steht und mit dem hinteren Teil, insbesondere im Bereich des Aufliegers in ihre Fahrspur ragt. Allerdings ist ihr nur der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit zu machen. Denn sie ist zum einen unbestritten langsam gefahren, zumal vor ihr ein Fahrradfahrer fuhr. Zum anderen war im Bereich der schräg stehenden Zugmaschine, insbesondere im vorderen Bereich, noch genügend Raum zum Passieren und finden sich die erheblichen Beschädigungen in dem für die Zeugin schwer abzuschätzenden oberen Bereich des Aufliegers, wie sich aus den Lichtbildern deutlich ergibt. Nicht haftungserhöhend auf Seiten der Klägerin wirkt sich hingegen § 11 Abs. 3 StVO aus. Die Zeugin N hat nicht gegen die hier normierte Pflicht, ggf. auf ein Vorrecht zu verzichten, verstoßen. Es ist nicht erkennbar, dass die Zeugin N ihr Vorrecht hätte erzwingen wollen.
Soweit die Beklagen behaupten, es sei für den Beklagten zu 2) nicht vorhersehbar gewesen, dass sich vor der Ampel ein Rückstau bildet, kann dies die Beklagten nicht entlasten. Insbesondere folgt aus diesem Vortrag kein unvorhersehbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG. Denn es fehlt jedenfalls an einer objektiven Unvorhersehbarkeit des Rückstaus. Unstreitig herrschte starker Verkehr und handelt es sich um eine vergleichsweise enge Straße mit verschiedenen Verkehren (Straßenbahn, Kfz, Fahrrad) sowie Ampeln...