Entscheidungsstichwort (Thema)

Epidurale Blutung nach chiropraktischer Behandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer chiropraktischen Behandlung der Hals- und Brustwirbelsäule bei einer schwangeren Patientin stehende Auftreten einer epiduralen Blutung indiziert nicht das Vorliegen einer behandlungsfehlerhaften Manipulation der Wirbelsäule.

2. Eine weitergehende Dokumentation der Behandlung als "Mobilisation der Wirbelsäule ohne Impuls" ist regelmäßig nicht geboten.

3. Zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen einer chiropraktischen Behandlung und einer Rückenmarksblutung.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Aktenzeichen 11 O 95/13)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 23.8.2017 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 95/13 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Bei der am 26.4.1983 geborenen Klägerin, die in der 19. Woche schwanger war, traten am 28.6.2011 Schmerzen in der unteren Halswirbelsäule mit Übelkeit und Kreislaufbeschwerden auf. Am 29.6.2011 stellte sie sich gegen 9.00 Uhr beim Beklagten zu 1), einem niedergelassenen Orthopäden, vor. Dieser und der Beklagte zu 2) führen eine Gemeinschaftspraxis, die Beklagte zu 3). Der Beklagte zu 1) vermerkte als Befund einen Hartspann des Trapeziusoberrands beidseits und einen Druckschmerz paravertebral beidseits C 7 - TH 7. Er wies die Klägerin darauf hin, dass bei bestehender Schwangerschaft Behandlungsmaßnahmen wie ein Einrenken oder die Gabe einer Spritze nicht möglich sein. Er führte zwei manualtherapeutische Behandlungen durch. Bei der ersten stand die Klägerin vor ihm, während sie bei der zweiten auf dem Rücken auf einer Liege lag. Zwischen den Parteien ist streitig, wie und mit welcher Intensität der Beklagte zu 1) die Behandlungen vornahm und ob es sich um chiropraktische Manipulationen oder Mobilisationen handelte. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien zu beiden Maßnahmen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. In der Karteikarte ist "Mobilisation der WS ohne Impuls, unspezifisch" vermerkt. Nach der Verordnung von Krankengymnastik verließ die Klägerin ohne eine Veränderung ihrer Beschwerden die Praxis der Beklagten.

Gegen 18.00 Uhr traten rasch zunehmende und intensive Schmerzen in Höhe der mittleren Brustwirbelsäule auf. Bei Eintreffen des von ihrem Ehemann verständigten Rettungsdienstes empfand die Klägerin ein Taubheitsgefühl in beiden Füßen und eine Schwäche in den Beinen. In der Notaufnahme des Universitätsklinikums B, in die die Klägerin um 20.20 Uhr eingeliefert wurde, lagen ein sensibler Querschnitt unterhalb von Th 10 und eine Lähmung der Beine vor. In der Magnetresonanztomografie zeigte sich eine subdurale Blutung von BWK 8/9 bis LWK 4 mit einem punktum maximum auf BWK 11/12. Eine Blutungsquelle war nicht zu sehen. Bei der noch am 29.6.2011 begonnenen Operation wurde ein von Th 8 bis L 3 reichendes subdurales Hämatom ausgeräumt. Eine Blutungsquelle fand sich nicht.

Am 1.7.2011 wurde die Klägerin in die Fachabteilung für Rückenmarksverletzte des Gemeinschaftskrankenhauses I verlegt. Am 8.7.2011 erfolgte die Entlastung eines epiduralen Abszesses im voroperierten Gebiet. Bei der Entlassung am 1.9.2011 bestanden eine Paraplegie unterhalb von Th 8, die sensibel inkomplett war, eine Harnblasenlähmung und eine neurogene Darmstörung. Bis Sommer 2012 bildete sich die Querschnittlähmung teilweise zurück. Die Klägerin konnte mit Hilfe eines Rollators wieder gehen.

Sie hat die Beklagten auf ein Schmerzensgeld von mindestens 200.000 EUR und die Feststellung der Ersatzpflicht in Anspruch genommen. Unter Vorlage von Gutachten und Stellungnahmen von Prof. Dr. I2 (Bl. 17 ff., 456 ff., 595 ff., 822 ff., 929 ff. d.A), Prof. Dr. T (Bl. 464 ff., 590 ff. d.A.) und Dr. T2 (Bl. 933 ff. d.A.) hat sie ihnen vorgeworfen, dass eine Manipulation bei einer schwangeren Patientin nicht habe vorgenommen werden dürfen. Zuvor habe der Beklagte zu 1) erforderliche Diagnostik unterlassen. In eine Manipulation habe sie weder eingewilligt noch sei sie über deren Risiken, insbesondere das einer Lähmung, und die bestehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Bei ihr bestünden eine partielle Querschnittslähmung unterhalb von Th 10/11, eine schmerzhafte Spastik der Beine, eine partielle Inkontinenz, wegen der sich selbst katheterisieren müsse, eine Darmträgheit und eine sexuelle Dysfunktion. Sie könne nur kurze Zeit und Strecken am Rollator gehen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge