Leitsatz (amtlich)
Bei einem invasiven Cervixkarzinom im Stadium I B mit Lymphgefäßeinbruch ist im Anschluss an die operative Therapie eine Strahlenbehandlung indiziert.
Räumt die Patientin ein, dass sie sich lediglich im Falle eines Lymphgefäßeinbruchs einer Strahlentherapie unterzogen hätte, ist der Nachweis des als Folge der verspäteten Diagnostik (grober Behandlungsfehler) behaupteten Schadens (Notwendigkeit der belastenden Strahlenbehandlung) nicht geführt, wenn der Behandler beweist, dass der Lymphgefäßeinbruch mit äußerster Wahrscheinlichkeit bereits zu dem Zeitpunkt vorgelegen hatte, zu dem das Karzinom frühestens hätte erkannt werden können.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 18.04.2007; Aktenzeichen 25 O 333/00) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.4.2007 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 333/00 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen über den vom LG zuerkannten Schmerzensgeldbetrag von 4.000 EUR hinausgehenden Schmerzensgeldanspruch. Denn auch nach weiterer Sachaufklärung durch den Senat steht nicht fest, dass der erstinstanzlich festgestellte Behandlungsfehler, nämlich die Verkennung des Cervixkarzinoms und die damit verbundene Diagnose- und Behandlungsverzögerung, zu den weiteren von der Klägerin geltend gemachten Schäden und Beeinträchtigungen führte, die sie durch die Strahlentherapie erlitten hatte und für die sie den mit der Berufung verfolgten Schmerzensgeldbetrag von weiteren mindestens 6.000 EUR begehrt.
Die Nichterweislichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Behandlungsfehler und den mit der Strahlentherapie verbundenen Schäden und Beeinträchtigungen geht zu Lasten der Klägerin, die grundsätzlich die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geklagten Gesundheitsschaden darlegen und beweisen muss. Daran ändert sich im vorliegenden Fall auch nichts dadurch, dass entsprechend den nicht angegriffenen Feststellungen des LG ein grober Behandlungsfehler vorlag. Zwar führt ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, regelmäßig zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden mit der Folge, dass die Nichterweislichkeit eines Ursachenzusammenhangs zu Lasten des Behandlers geht. Das gilt allerdings dann nicht, wenn, was zur Beweislast der Behandler steht, jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist. Dann ist die Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ausnahmsweise ausgeschlossen (st. Rspr., vgl. nur BGHZ 159, 48 ff. m.w.N.).
Diesen Beweis haben die Beklagten nach der ergänzenden Beweiserhebung durch den Senat geführt. Anders als der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Prof. Dr. T. hat der vom Senat beauftragte strahlentherapeutische Sachverständige Prof. Dr. C. in seinem Gutachten vom 10.9.2008 zwar ausgeführt, dass die Durchführung der Strahlentherapie maßgeblich davon abhing, ob der Tumor bereits in die Lymphgefäße eingebrochen war. Der Sachverständige hat dazu erläutert, dass der Lymphgefäßeinbruch neben anderen Risikofaktoren als Hochrisikofaktor anzusehen sei. Ohne diesen Hochrisikofaktor hätte in Anbetracht des jungen Alters der Klägerin und des schlechten Differenzierungsgrads des Tumors allenfalls eine relative Indikation für eine Strahlentherapie bestanden bei hohem Sicherheitsbedürfnis der Klägerin. Der Sachverständige weist darauf hin, dass dementsprechend auch die Indikationsstellung zur Strahlenbehandlung eindeutig unter Berücksichtigung des Lymphgefäßeinbruchs und des histologischen Gradings des Tumors geschah. Daraus folgt indessen weiter und wird so auch von der Klägerin selbst eingeräumt, dass eine Strahlenbehandlung auch dann erfolgt wäre, hätte bei frühzeitigerer Diagnose des Tumors bereits etwa Mitte Oktober 1997 ein Lymphgefäßbefall vorgelegen. Letzteres hat der Sachverständige freilich wissenschaftlich nachvollziehbar und plausibel "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bejaht. Der Sachverständige hat dazu auf der Grundlage der Tumorbiologie, wie sie von Prof. Dr. T. und dem Gutachter der Beklagten Prof. Dr. U., insoweit von dem von der Klägerin beauftragten Gutachter Prof. Dr. P. ausdrücklich gebilligt, dargelegt worden ist, ausgeführt, dass sich das Cervixkarzinom nach der formalen Karzinogenese in den meisten Fällen aus seinen Vorstufen, den sog. zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN) entwickele und dass es durchschnittlich mehrere Jahre (durchschnittlich zehn Ja...