Leitsatz (amtlich)
Auf Erfüllung gerichtete einstweilige Verfügung
- Die Herausgabe der sogen. Lebenslaufakte eines Luftfahrzeugs kann trotz des Erfüllungscharakters im Wege der einstweiligen Verfügung verlangt werden.
- Gegen den Anspruch auf Herausgabe der sogen. Lebenlaufakte kann wegen der im allgemeinen Interesse liegenden Bestimmung der Führung derartiger Aufzeichnungen kein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden.
- Die Herausgabe der Lebenslaufakte an den Gerichtsvollzieher als Sequester in Vollziehung einer einstweiligen Verfügung führt weder zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache noch zur Unzulässigkeit der Berufung, wenn der Antragsgegner weiterhin den Herausgabeanspruch des Antragstellers bestreitet.
Normenkette
ZPO §§ 935, 940, 883; LUFTBO § 15
Tatbestand
Die M. G. von K. und J. E. Gesellschaft bürgerlichen Rechts – nachfolgend: GbR – hatte das in ihrem Eigentum stehende Flugzeug Typ King Air B 200 mit dem amtlichen Kennzeichen an die Verfügungsbeklagte – nachfolgend: Beklagte – vermietet. Dieses Mietverhältnis ist beendet. Die Vertragsparteien haben vor dem Landgericht Bonn aus dem beendeten Mietverhältnis im Wege der Klage und der Widerklage wechselseitig Forderungen gegeneinander geltend gemacht. Der erste Rechtszug ist abgeschlossen. Jener Prozeß schwebt inzwischen in der Berufungsinstanz vor dem Senat.
Nach Beendigung des eingangs genannten Vertrages vermietete die GbR das Flugzeug an die Verfügungsklägerin – nachfolgend: Klägerin –. Zu dem Flugzeug gehören Betriebsaufzeichnungen in Form einer sog. Lebenslaufakte – nachfolgend: L-Akte –, die sich auch nach der Beendigung des eingangs genannten Mietvertrages im unmittelbaren Besitz der Beklagten befanden, und deren Herausgabe sie wegen ihrer angeblichen Forderungen aus dem beendeten Mietvertrag gegen die GbR verweigert, indem sie ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht. Nachdem die GbR die Klägerin zur Geltendmachung ihres Eigentumsherausgabeanspruchs aus § 985 BGB ermächtigt und ihr ihren Herausgabeanspruch aus § 556 I BGB abgetreten hatte, forderte die Klägerin die Beklagte wiederholt zur Herausgabe der L-Akte an sie auf. In ihrem Schreiben vom 10.08.1995 wies sie die Beklagte darauf hin, daß am 30.08.1995 eine Überprüfung durch das Luftfahrt – Bundesamt – nachfolgend: LBA – anstehe, bei der die LAkte benötigt werde. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 14.08.1995, daß sie die L-Akte bis zur restlosen Klärung ihrer Forderungen einbehalten werde. Mit weiterem Schreiben vom 25.08.1995 bekräftigte sie ihr Zurückbehaltungsrecht und stellte der Klägerin die Beibringung einer Bankbürgschaft über einen Betrag von 219.916,21 DM anheim, für welchen Fall sie – gemeinsam mit ihrem späteren anwaltlichen Vertreter im ersten Rechtszug des vorliegenden Verfahrens – überlegen werde, ob die LAkte alsdann der Klägerin Zug um Zug ausgefolgert werden könne. Ebenfalls am 25.08.1995 – Eingang bei Gericht – hat die Klägerin um den Erlaß einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige mündliche Verhandlung nachgesucht, Inhalts derer der Beklagten die Herausgabe der L-Akte an sie aufgegeben werden sollte. Bei dieser Akte, so hat sie ausgeführt, handele es sich um die gemäß § 15 der Betriebsordnung für Luftfahrgerät (LuftBO) vom 04.03.1970 (BGBl 1970, 262) gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsaufzeichnungen, in denen die gesamte Geschichte – Lebenslauf – des Flugzeugs – u.a. Originalunterlagen über jeden Check, jeden Werkstattaufenthalt, jede Veränderung am Flugzeug, Motor-, Schalt-, Elektronikpläne pp. – dokumentiert werde. Gemäß § 15 Abs. 1 LuftBO könne die zuständige Behörde jederzeit, also keineswegs nur aus dem konkreten Anlaß des Prüftermins vom 30.08.1995, Einblick in diese Aufzeichnungen verlangen. Verstöße gegen die damit korrespondierende Verpflichtung zur jederzeitigen Vorlage gegenüber der Behörde würden nach § 57 Nr. 1 e LBO i.V.m. § 58 Abs. 1 Nr. 10 Luftverkehrsgesetz (LVG) als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit geahndet. Ganz abgesehen davon sei sie – Klägerin – auch aus Gründen der Flugsicherheit unerläßlich auf die jederzeitige Präsenz der L-Akte angewiesen.
Das Landgericht Bonn hat die einstweilige Verfügung mit Beschluß vom 28.08.1995 antragsgemäß erlassen. Die Rechtspflegerin des Landgerichts Bonn hat der Klägerin mit Beschluß vom 08.09.1995 aufgegeben, innerhalb zweier Wochen Klage zur Hauptsache zu erheben. Das ist in der Folge geschehen.
Nach von der Beklagten eingelegtem Widerspruch hat die Klägerin beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 28.08.1995 aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte hat beantragt,
das Gesuch der Klägerin um Erlaß einer einstweiligen Verfügung unter Aufhebung des Beschlusses vom 28.08.1995 zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, ein Verfügungsgrund bestehe schon deshalb nicht, weil die Klägerin im Besitz des Bordbuches sei, was ausreiche; die Betriebsaufzeichnungen könnten gemäß § 15 Abs. 3 LuftBO in Form des Bordbuches geführt werden. Abgesehen davon sei sie – Beklagte – jederzeit bereit, der Klägerin...