Leitsatz (amtlich)
1. Die Gestattung einer Probefahrt mit einem Motorrad kann, wenn keine Fahrzeugpapiere überlassen werden, zur bloßen Gewahrsamslockerung führen, so dass eine Entwendung durch Diebstahl möglich ist.
2. Gestattet der Versicherungsnehmer unter Aufgabe des eigenen Gewahrsams einem Dritten, der entschlossen ist, das Motorrad an sich zu bringen, eine Probefahrt, so wird gleichzeitig mit dem Betrugstatbestand der Tatbestand einer (strafrechtlich subsidiären) Unterschlagung verwirklicht, was zur Bejahung eines Versicherungsfalls nach § 12 Abs. 1 Ib AKB führt, denn die Probefahrt ist keine Überlassung zum Gebrauch.
3. Lässt ein Kaufinteressent vor Antritt einer Probefahrt das von ihm mitgebrachte, zum Straßenverkehr zugelassene Motorrad zurück, so führt die Gestattung der Probefahrt mit einem Motorrad nicht notwendig zur Bejahung grober Fahrlässigkeit.
Normenkette
AKB § 12 Abs. 1 Nr. 1b; VVG a.F. § 61
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 15.08.2007; Aktenzeichen 20 O 56/07) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15.8.2007 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des LG Köln - 20 O 56/07 - teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.650 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger hatte für sein Motorrad C (Erstzulassung Juni 2005, amtliches Kennzeichen XY) bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 150 EUR abgeschlossen. Im September 2006 bot er das Fahrzeug, das einen Wiederbeschaffungswert von 10.800 EUR hatte, im Internet zum Verkauf an. Am Nachmittag des 16.9.2006 erschien nach telefonischer Absprache ein Interessent, der auf einem Motorrad der Marke Z anreiste (amtliches Kennzeichen Y). Der Kläger überließ ihm sein Motorrad ohne Papiere zu einer Probefahrt. Der Interessent kehrte nicht zurück. Von dem mitgebrachten Zweirad stellte sich heraus, dass es rund drei Monate vorher für 600 EUR verkauft, danach vom Käufer aber nicht umgemeldet worden war. Der Versuch, den Käufer des zurückgelassenen Motorrads bzw. den Interessenten, der beim Kläger erschien, zu ermitteln, war ohne Erfolg.
Der Kläger hat behauptet, er habe dem Interessenten eine Probefahrt von etwa 1,5 km gestattet, die 200 m bis zur I-Straße und dann weitere etwa 500 m bis zur nächsten Kreuzung führen sollte.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.800 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe das Motorrad dem unbekannten Dritten zu einer örtlich und zeitlich nicht begrenzten Probefahrt überlassen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Gewahrsam an dem Motorrad mehr gehabt. Er sei Opfer eines nicht versicherten Betruges geworden. Jedenfalls liege eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls vor. Wegen der getroffenen Feststellungen und der sonstigen Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung greift der Kläger das Urteil an. Er ist der Ansicht, es liege ein Gewahrsamsbruch vor. Grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden, er habe das zurückgelassene Motorrad als hinreichende Sicherheit ansehen dürfen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 15.8.2007 verkündeten Urteils des LG Köln, 20 O 56/07, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.800 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Akten der Staatsanwaltschaft Köln 70 UJs 1023/06 sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II. Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
A. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Entwendung seines Motorrads entstandenen Schadens von 10.800 EUR abzgl. der vereinbarten Selbstbeteiligung von 150 EUR, so dass die Klage i.H.v. 10.650 EUR begründet ist.
1. Ausgehend von dem in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden Vortrag beider Parteien ist ein Versicherungsfall zu bejahen (für einen vergleichbaren Fall ebenso OLG München VersR 1995, 954; offen lassend OLG Düsseldorf NVersZ 2000, 336 = r+s 1999, 230 f.).
Nach § 12 Abs. 1 Ib AKB (GA 124 ff.) umfasst die Teilversicherung Schäden "durch Entwendung, ins...