Leitsatz (amtlich)
1. Ein Übertragungsbeschluss nach § 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG in Verbindung mit § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG bedarf nicht einer sachlichen Rechtfertigung. Der Gesetzgeber selbst hat die Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen, weshalb der Squeeze-out seine Rechtfertigung "in sich" trägt.
2. Der gesetzgeberischen Wertung, dass der Hauptaktionär sein Interesse an einer effektiven Unternehmensführung bzw. an einer Vereinfachung der Konzernstruktur verfolgen kann, soweit die vermögensrechtlichen Interessen der Minderheitsaktionäre in angemessener Weise gewahrt werden, hat eine Rechtsmissbrauchskontrolle Rechnung zutragen. Es können nur eklatante Fallgestaltungen als rechtsmissbräuchlich abgesehen werden, wenn etwa deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der gesetzgeberische Zweck entfremdet und stattdessen ein anderweit aufgestelltes Verbot unterlaufen wird oder die beabsichtigte Maßnahme in ihrer Benachteiligung der Minderheit über das vom Gesetz vorgesehene Maß deutlich hinausgeht. Insofern liegt die Darlegungs- und Beweislast für die einen Missbrauchstatbestand begründenden Tatsachen bei den sich hierauf berufenden (ehemaligen) Minderheitsaktionären und sind an den zu führenden Nachweis einer solchen Zweckentfremdung hohe Anforderungen zu stellen.
3. Aus der bloßen Herbeiführung der Voraussetzungen für einen Squeeze-out kann dessen Rechtsmissbräuchlichkeit nicht hergeleitet werden.
4. Der Umstand, dass durch die Verschmelzung das Amt des besonderen Vertreters erlischt und damit die ihm übertragene Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verhindert wird, führt nicht zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Squeeze-out.
Normenkette
AktG §§ 17, 67 Abs. 2, § 131 Abs. 1 S. 1, §§ 147, 243 Abs. 4 S. 2, §§ 305, 311, 317, 319 Abs. 6, § 327a ff.; EGBGB a.F. Art. 27 f., Art. 35 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 Nr. 2; FamFG § 26; GG Art. 12, 14, 20 Abs. 3; HGB § 290; SpruchG § 7 Abs. 7, § 8 Abs. 3, §§ 15, 17 Abs. 1; WpHG a.F. §§ 21-22, 22a, 28; österreichisches ABGB § 1175 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 91 O 13/17) |
Tenor
I. Die Berufungen werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Berufungskläger zu je ein Achtel.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger wenden sich mit ihren Anfechtungsklagen gegen den in der Hauptversammlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten - der A AG (alt) - am 24. März 2017 zu TOP 1 gefasste Beschluss, wonach die Aktien der Minderheitsaktionäre der A AG (alt) auf deren Hauptaktionärin übertragen werden sollten.
1. Die Kläger waren Minderheitsaktionäre der A AG (alt). Die A AG (alt) war eine börsennotierte Aktiengesellschaft, eingetragen im Handelsregister B. Das Grundkapital belief sich auf 104.780.000 EUR und war eingeteilt in 4.030.000 Stückaktien. 74,8 % der Aktien gehörten ursprünglich der A SE. Weitere 2,98 % der Aktien hielt die C GmbH und weitere 15,85 % der Aktien gehörten der D GmbH, die eine 100-prozentige Tochter der A SE war. Die Aktien der A SE, von denen sich im Geschäftsjahr 2017 6,7 % im Eigenbesitz und 13,5 % im Streubesitz befanden, wurden im Übrigen von vier Aktionärsgruppen gehalten: Die E Ltd. hielt 25,9 %, die F-Gruppe 26,4 %, die G-Gruppe 13,2 % und die H-Gruppe 14,3 % jeweils unmittelbar oder über Tochtergesellschaften. Zwischen den vorgenannten vier großen Aktionärsgruppen besteht seit 2007 ein Syndikatsvertrag, in dem unter anderem Nominierungsrechte für den Aufsichtsrat der A SE und die Koordination des Abstimmungsverhaltens der vier Aktionärsgruppen geregelt sind (vgl. AnlH III 604 ff.); danach sind die Parteien des Syndikatsvertrags zur einheitlichen Ausübung ihrer Stimmrechte aus den syndizierten Aktien in der Hauptversammlung der A SE verpflichtet.
Seit 2009 kam es zu konzerninternen Transaktionen, an der auch die A AG (alt) beteiligt war. Diesbezüglich behaupten die Kläger zum Teil, dass die A SE die A AG (alt) veranlasst habe, Beteiligungen zu einem überhöhten Preis zu übernehmen. Im Jahr 2014 forderten die Kläger die A AG (alt) zur Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung auf, in der Beschlüsse über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen der konzerninternen Transaktionen sowie die Bestellung eines besonderen Vertreters getroffen werden sollten. Da eine außerordentliche Hauptversammlung nicht stattfand, wurde im Jahr 2015 die ordentliche Hauptversammlung um entsprechende Tagesordnungspunkte ergänzt. In der Hauptversammlung vom 19. Juni 2015 wurden sodann Beschlüsse hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die A SE aufgrund einer konzerninternen Transaktion (I-Transaktion) und über die Bestellung des besonderen Vertreters Herrn J gefasst. Hierge...