Leitsatz (amtlich)
1. Eine Nebenklägerin kann Entschädigung gem. § 198 GVG für die überlange Dauer eines Strafverfahrens nur für die während der Zeit ihrer Verfahrensbeteiligung geltend machen.
2. Für die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist ein Zeitraum von 10,5 Monaten situativ noch nicht als unangemessen lange zu bewerten, wenn das Gericht nachhaltig auf die Beibringung des Gutachtens gedrängt hat.
3. Wenn in einem Strafverfahren für einen Zeitraum von zwei Jahren nur einzelne richterliche Maßnahmen zur inhaltlichen Förderung des Verfahrens feststellbar sind, begründet dies eine entschädigungspflichtige Überlänge. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Gericht auf wiederholte Sachstandsanfragen mitteilte, dass das Verfahren wegen vorrangiger Haftsachen und Umfangsverfahren nicht betrieben und nicht terminiert werden könne.
4. Die Nichtbearbeitung eines Verfahrens über zwei Jahre hinweg, sei es auch aufgrund objektiv bestehender Überlastung, führt zur Beurteilung als unangemessen.
5. Da der Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG verschuldensunabhängig ist, kann sich das beklagte Land zur Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer nicht auf die chronische Überlastung eines Gerichts oder eine allgemein angespannte Personalsituation berufen, ebenso nicht auf Richterwechsel während des Verfahrens.
6. Gegenstand einer Entschädigung nach § 198 GVG sind nur immaterielle Nachteile als solche, nicht aber gesundheitliche Folgen einer Nebenklägerin oder eine von ihr als zu gering empfundene Strafe.
7. Wird die Entschädigungsklage erhoben, bevor das beklagte Land vorgerichtlich zur Zahlung aufgefordert wurde, kann dieses auch innerhalb der verlängerten Einlassungsfrist gem. § 93 ZPO noch sofort anerkennen.
Tenor
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Verfahrensdauer des Strafverfahrens LG Köln 109 KLs 9/12 als Entschädigung einen weiteren Betrag in Höhe von 1.200,00 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.200,00 EUR seit dem 18.09.2018 bis zum 30.04.2019 und aus 1.200,00 EUR seit dem 11.12.2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 58 %, das beklagte Land 42 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer zweier vor dem Landgericht Köln geführter Verfahren in Anspruch. Es handelt sich zum einem um das u.a. gegen den Angeklagten C. K. geführte Strafverfahren - Az. 109 KLs 9/12, LG Köln -, an dem die Klägerin in der Zeit vom 30.07.2015 bis zum 02.07.2020 als Nebenklägerin beteiligt war, zum zweiten um das von ihr geführten Zivilverfahren - Az. 25 O 399/14, LG Köln -, wobei sie hierfür nur eine Entschädigung für das erstinstanzliche Verfahren verlangt. Hintergrund beider Verfahren war eine der Fettreduktion dienende kosmetische Behandlung an den Knien sowie die Nachbehandlung eines Infekts durch den Angeklagten/Beklagten C. K. ohne ärztliche Approbation. Die Nachbehandlung erfolgte auch durch den Angeklagten/Beklagten Dr. med. W. J. M. S.
1. Strafverfahren LG Köln 109 KLs 9/12
Am 16.04.2012 beantragte die Staatsanwaltschaft Köln, das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer des Landgerichts Köln zu eröffnen (BI. 3333-3497, im Folgenden unter 1. stets Blattzahlen der Beiakte 109 KLs 9/12, LG Köln). Angeschuldigt wurden C. K., der Apotheker M. D. R. sowie der Arzt Dr. med. W. J. M. S. Der Angeschuldigte R. und der Angeschuldigte K. wurden angeklagt wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges durch 531 selbständige Handlungen in der Zeit vom 12.11.2007 bis zum 25.02.2011. Der Angeschuldigte K. wurde zudem wegen gewerbsmäßigen Betruges durch weitere 420 selbständige Handlungen angeklagt. Beide wurden zudem angeklagt, durch jeweils eine weitere selbständige Handlung die Heilkunde ausgeübt zu haben, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufs berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 HeilprG zu besitzen. Der Angeschuldigte Dr. S. wurde angeklagt durch eine selbständige Handlung Beihilfe zu den vorsätzlich rechtswidrigen Taten der Angeschuldigten K. und R. geleistet zu haben. Am 30.11.2012 beschloss die zuständige Kammer des Landgerichts Köln, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Durch die Begutachtung sollte geklärt werden, ob der Angeschuldigte Dr. S. bei Begehung der Tat vermindert schuldfähig bzw. schuldunfähig war. Ferner sollten die Frage der Therapierbarkeit sowie die Frage der Verhandlungsfähigkeit beantwortet werden (BI. 3741 und 3742 d. BA). Der Sachverständige erstattete am 19.07.2013 sein Gutachten (BI. 3792-3861 d. BA). Mit Beschluss vom 19.03.2015 eröffnete die 9. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer das Hauptverfahren gegen die drei Angeschuldigten (BI. 4012-4013 d. BA). Am 16.03.2015 klagte die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten K. im Wege der Nachtragsanklage an, die Klägerin durch Beibringung gesundhei...