Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsanspruch bezüglich des Medikamentes Vioxx bei Herzrhythmusstörungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verjährung des Auskunftsanspruchs nach § 84a AMG beginnt erst, wenn der Kläger Tatsachen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, die den Schluss auf eine Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen Arzneimittel und Schaden zulassen. Beruft sich der Kläger auf einen durch das Medikament hervorgerufenen Herzklappenschaden oder eine Herzrhythmusstörung, so genügt dafür nicht die Kenntnis von seit langem bekannten Gefahren im Hinblick auf kardiovaskuläre Erkrankungen.
2. An die Darlegung, dass ein Medikament einen bestimmten Schaden verursacht habe, sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Zur Begründung eines Auskunftsanspruchs können keine Tatsachen verlangt werden, die einen Sachverständigenbeweis erfordern.
3. Für den Auskunftsanspruch nach § 84a AMG ist es regelmäßig unerheblich, ob ein Medikament "bestimmungsgemäß" angewendet wurde.
4. Für die plausible Darlegung, dass ein Medikament einen bestimmten Schaden verursacht hat, genügt das Vorliegen von Parallelerkrankungen und ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Schadenseintritt und Arzneimittelanwendung. Der Kläger muss nicht substantiiert andere schadensgeneigte Faktoren, die gegen einen Kausalzusammenhang sprechen können, widerlegen.
Normenkette
BGB §§ 195, § 199 ff.; AMG § 84a
Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 05.07.2010; Aktenzeichen 9 O 355/09) |
Tenor
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung wird das am 10.5.2010 verkündete Teilurteil der 9. Zivilkammer des LG Bonn i.V.m. dem Berichtigungsbeschluss vom 5.7.2010 - 9 O 355/09 - auf die Berufung des Klägers teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger gem. § 84a AMG Auskunft zu erteilen über sämtliche ihr bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und diesbezügliche Verdachtsfälle der von den seitens der Beklagten in Deutschland bis zum 30.9.2004 vertriebenen Medikaments W (S) ausgehenden schädlichen Wirkungen, soweit sie Herzrhythmusstörungen betreffen, sowie über sämtliche Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit solcher schädlichen Wirkungen des Medikaments von Bedeutung sein können, insbesondere sämtliche Schadensmeldungen seit 1999.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem landgerichtlichen Schlussurteil überlassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten, die in Deutschland bis zum September 2004 das Medikament W vertrieb, unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelhaftung im Wege der Stufenklage Auskunft über Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen des Medikaments, über Verdachtsfälle der von dem Medikament ausgehenden schädlichen Wirkungen, soweit sie Herzrhythmusstörungen und Herzklappenprolapse betreffen, und Erkenntnisse zu seiner Vertretbarkeit, sowie nachfolgend Schmerzensgeld und Schadensersatz.
Das LG hat den Auskunftsanspruch durch das angefochtene Teilurteil wegen Verjährung abgewiesen.
Wegen des Vorbringens der Parteien, der tatsächlichen Feststellungen und der Gründe der landgerichtlichen Entscheidung wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Teilurteil in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss (Bl. 259 ff., 273 GA) Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen das Teilurteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel, mit dem er den Auskunftsanspruch weiterverfolgt und auch die weiteren Anträge zur Entscheidung des Senats stellt, ordnungsgemäß begründet.
Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens ist er der Ansicht, das LG sei rechtsfehlerhaft von einer Verjährung des Auskunftsanspruches ausgegangen. Das LG habe verkannt, dass er erstmals durch den von ihm bereits erstinstanzlich angeführten Artikel im Deutschen Ärzteblatt im Oktober 2006 Kenntnis von einem möglichen Zusammenhang zwischen seinen Beschwerden (Herzrhythmusstörungen und Mitralklappenprolaps) und dem Arzneimittel W erlangt habe. Erst dies habe ihn in die Lage versetzt, schlüssig vorzutragen. Zur Kausalität hätte er zuvor "ins Blaue hinein" vortragen müssen. Die zuvor durch die Medien bekannt gewordenen kardiovaskulären Erkrankungen hätten sich ausschließlich auf Herzinfarkte und Schlaganfälle bezogen, nicht aber auf Herzrhythmusstörungen. Das Rechtsanwaltsschreiben vom 1.4.2006 stehe einer mangelnden Kenntnis nicht entgegen, da es sich lediglich um eine pauschale Anspruchsmeldung gehandelt habe. Im Übrigen sei die Verjährung zwischen April 2006 und Oktober 2009 auch gehemmt gewesen, weil die Beklagte auf sein Schreiben vom 1.4.2006 Ansprüche nicht endgültig abgelehnt und auch nicht kundgetan habe, dass sie beabsichtige, die Verhandlungen nicht weiter fortzusetzen. Zur Sache behauptet er weiterhin, die jahrelange regelmäßige Einnahme von W habe bei ihm zu den Herzrhythmusstörungen und der Mitralklap...