Entscheidungsstichwort (Thema)

Bürgschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1) Bei einer auf erstes Anfordern ausgestellten Gewährleistungsbürgschaft ist der Gläubiger grundsätzlich nicht verpflichtet, bei Inanspruchnahme des Bürgen diesem gegenüber die Mängel des Werks konkret darzulegen (gegen OLG München WM 1994, 2108 = NJW-RR 1995, 498; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 8. Aufl., RN 1257). Etwas anderes gilt nur dann, wenn (ausnahmsweise) eine spezifizierte Mängelauflistung von dem Bürgen als Voraussetzung seiner Inanspruchnahme in der Bürgschaftsurkunde gefordert wird.

2) Will der Hauptschuldner dem Gläubiger gerichtlich untersagen lassen, eine Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch zu nehmen (sog. Erstprozeß), so kann er nur mit denjenigen Einwendungen gehört werden, die auch vom Bürgen in derselben prozessualen Situation geltend gemacht werden könnten.

3) Im Erstprozeß gegen den Gläubiger der Bürgschaft auf erstes Anfordern kann der Hauptschuldner (oder Bürge) nur obsiegen, wenn es offensichtlich oder mindestens liquide beweisbar ist, daß der Gläubiger eine formale Rechtsposition rechtsmißbräuchlich ausnutzt. Eine Beweiserhebung durch Vernehmung von Zeugen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Einwands des Rechtsmißbrauchs kommt nicht in Betracht.

4) Eine rechtsmißbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition durch den Auftraggeber kann dann vorliegen, wenn dieser den Bürgen aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch nimmt, obwohl er den Werklohnanspruch des Auftragnehmers noch nicht in vollem Umfang erfüllt hat.

 

Normenkette

BGB §§ 765 ff, 401

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 17.12.1996; Aktenzeichen 85 O 173/96)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 17.12.1996 – 85 O 173/96 – geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000 DM, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung entsprechende Sicherheit erbringt. Als Mittel der Sicherheitsleistung wird jeweils auch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Bank zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin schloß am 11.1.1993 mit der Fa. I. (später umfirmiert in I.) einen Bauleistungsvertrag, durch den sie es übernahm, in S. ein Verwaltungsgebäude mit Geschäften (sog. N.) zu errichten. Dieser Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:

§ 4 Zahlungen

4.4

Als Sicherheit für die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag hat der AN (= Klägerin) eine Bürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu stellen.

4.5

Als Sicherheit für die Erfüllung der Gewährleistungsansprüche einschl. Schadensersatz werden 5 % des Auftrages einbehalten. Dieser Betrag kann durch eine unbefristete Bankbürgschaft abgelöst werden.

§ 7 Gewährleistung und Haftung

7.3

Der AG (= I.) ist berechtigt, für den Zeitraum von 5 Jahren nach der Abnahme, einen Sicherheitseinbehalt von 5 % der Auftragssumme einzubehalten. Der AN kann diesen Sicherheitseinbehalt gegen Übergabe einer selbstschuldnerischen Bürgschaft eines deutschen Kreditinstituts in gleicher Höhe ablösen.

Am 21.10.1993 verkaufte die I. den Grundbesitz nebst noch zu errichtender Bausubstanz an die Beklagte unter der Verpflichtung, das Objekt schlüsselfertig zu erstellen; zur Sicherung der von ihr gegenüber der Beklagten übernommenen Gewährleistung verpflichtete sich die I., dieser eine Bürgschaft über 1,39 Mio DM zu stellen; der Vertrag sieht desweiteren vor, daß I. an Stelle dieser Bürgschaft der Beklagten ihre Gewährleistungsansprüche gegen den Generalunternehmer (= Klägerin) sowie die ihr zur Verfügung stehende Bürgschaft des Generalunternehmers abtreten kann.

Die IS. F. erteilte am 7.4.1994 unter Bezugnahme auf den Vertrag vom 11.1.1993 und die dortige Verpflichtung des Auftragnehmers „als Sicherheit für die Erfüllung seiner Gewährleistungsverpflichtungen dem Auftraggeber eine Bürgschaft zu stellen” für den Auftragnehmer die unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft und verpflichtete sich, jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 550.000 DM an den Auftraggeber „auf erstes Anfordern zu zahlen, unter gleichzeitiger schriftlicher Erklärung des Auftraggebers, daß der Auftragnehmer seinen vorgenannten Verpflichtungen nicht nachgekommen ist”. Die Klägerin übersandte diese Bürgschaftsurkunde mit Begleitschreiben vom 12.4.1994 „gemäß unserer Vereinbarung” an die I.; gleichzeitig bat sie um Rückgabe der von ihr erbrachten Vertragserfüllungsbürgschaft der Dresdner Bank.

Am 22.12.1994 trat die I. die Gewährleistungsansprüche aus dem Vertrag mit der Klägerin und die Bürgschaft vom 7.4.1994 an die Beklagte ab. Nachdem das AG Cottbus das allgemeine Verfügungsverbot gegen die I. und die Sequestration angeordnet hatte, nahm die Beklagte mit Schreiben vom 31.5.1996 die IS. aus der Bürgschaft vom 7.4.1994 in Anspruch unter Hinweis darauf, das Objekt weise „erhebliche Mäng...

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