Leitsatz (amtlich)
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 29 O 5586/21) |
Tenor
1. Das Gericht beabsichtigt, das Verfahren gemäß § 8 KapMuG auszusetzen.
2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 05.09.2022.
Gründe
I. Der Senat erwägt, das Verfahren gemäß § 8 KapMuG auszusetzen. Nach vorläufiger Einschätzung des Senats hat die Berufung der Klagepartei Aussicht auf Erfolg, da das Landgericht die Klage nicht ohne vorherigen Hinweis als unsubstantiiert hätte abweisen dürfen. Aufgrund des mittlerweile erfolgten Vortrags erscheint die Klage zudem zumindest nunmehr ausreichend substantiiert.
II. Die Kläger verlangen von dem Beklagten als langjährigem Vorstandsvorsitzenden der W.AG Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der W. AG. Sie tragen dazu vor, sie hätten im Vertrauen auf die Richtigkeit der öffentlichen Äußerungen der W. AG seit 2015 die Aktien erworben. Hätten sie gewusst, dass die W. AG bereits seit 2015 ausschließlich Verluste erwirtschaftet hat, hätten sie die Aktien nicht gekauft.
Die Kläger sind der Überzeugung, dass der Beklagter als langjähriger Vorstandsvorsitzender von der wirtschaftlichen Schieflage der W. AG Kenntnis hatte und diese wider besseren Wissens öffentlich unrichtig dargestellt habe. Dies ergebe sich insbesondere aus dem KPMG-Bericht vom 27.04.2020 sowie aus dem Ende November 2021 öffentlich gewordenen W.b.-Bericht. Sie begehren daher von ihm Schadensersatz insbesondere aufgrund Delikts gemäß § 826 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG und § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 263, 264a, 266 StGB.
III. Am 16.03.2022 wurde im elektronischen Bundesanzeiger der Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/22 KapMuG, veröffentlicht.
1. Feststellungsziele des o.g. Vorlagebeschlusses sind u.a.:
Zu A.I.
(Haupttat; Unrichtigkeit der Geschäftsberichte der W. AG),
Nr. 1 bis 5, ob die Geschäftsberichte der W.AG für die Jahre 2014 bis 2018 die Verhältnisse der W. AG insoweit unrichtig wiedergeben, als sie
a. falsche Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente enthalten,
b. falsche Umsatzerlöse enthalten,
c. die Risiken aus dem Drittpartnergeschäft (TPA-Geschäft) falsch darstellen,
d. die Segmentberichterstattung nicht den Anforderungen von IFRS 8 entspricht,
e. das Risikofrüherkennungssystem der W. AG falsch darstellen,
Nr. 6 bis 7:
6. Die W. AG und der Beklagte Dr. M. B. kannten die Unrichtigkeit der Geschäftsberichte für die Jahre 2014, 2015, 2016, 2017 und/ oder 2018 im Zeitpunkt ihrer jeweiligen Veröffentlichung.
7. Die Unrichtigkeit der Geschäftsberichte für die Jahre 2014, 2015, 2016, 2017 und/ oder 2018 beruhte auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der W. AG und des Beklagten Dr. M. B.
Zu A.II.:
(Zu weiteren Anspruchsvoraussetzungen und zur Klärung der Rechtsfragen)
4. Die Geschäftsberichte für die Jahre 2014 bis 2018 stellen Gesellschaftsverhältnisse im Sinne des § 400 AktG dar.
a) § 400 AktG ist Schutzgesetz i.s.d. § 823 Abs. 2 BGB
b) Die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale Rechtswidrigkeit und Schuld, ausgenommen Fragen der individuellen Kausalität und Schadensberechnung, als Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Haftung des Beklagten Dr. M. B. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 37v WpHG a.F., § 331 HGB, § 400 AktG, liegen sämtlich vor.
5-7. Der Beklagte Dr. M. B. hat als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs der W. AG die Verhältnisse der W.AG und Gesellschaftsverhältnisse der W. AG im Sinne des § 400 AktG in den Geschäftsberichten für die Jahre 2014, 2015, 2016 2017 und /oder 2018 nicht richtig angegeben und/oder eine Versicherung entgegen § 297 Abs. 2 Satz 4 HGB und/oder § 315 Abs. 1 Satz 5 HGB nicht richtig abgegeben.
9. Indem der Beklagte Dr. M. B. die Geschäftsberichte für die Jahre 2014, 2015, 2016, 2017 und/oder 2018 veröffentlicht hat, hat er sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB gehandelt.
Die Veröffentlichung war in Bezug auf die Beeinflussung von Anlageentscheidungen Dritter auch vorsätzlich im Sinne des § 826 BGB.
Zu C.
(Schaden und Kausalität),
der Kursdifferenzschaden sei ohne konkreten Kausalitätsnachweis ersatzfähig.
2. Zur Begründung hat das Landgericht u.a. ausgeführt, die dortigen Kläger nähmen die dortigen Beklagten auf Schadensersatz in Bezug auf Erwerbe von Aktien der W. AG (WKN: ...060) in Anspruch; die dortigen Kläger würden Schadensersatz in Bezug auf Kaufgeschäfte zwischen dem 11.07.2017 und 19.06.2020 begehren.
Der dortige Beklagte Dr. M. B. sei als Vorstandsvorsitzender für betrügerische Handlungen der W. AG verantwortlich.
Die dortigen Kläger benennen u. a. einzelne handelnde Prüfer als Zeugen. Im Übrigen verweisen sie u. a. auf den Abschlussbericht des dritten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 22.06.2021 einschließlich des von den Ermittlungsbea...