Leitsatz (amtlich)

Die Anordnung von Haft zum Zwecke der Zurückschiebung in einen Schengenstaat gegen einen im Inland zur Abschiebung/Ausweisung ausgeschriebenen Drittausländer, der einen nationalen Aufenthaltstitel dieses Staates hat, ist nicht ausgeschlossen. Die Zurückschiebung setzt nicht voraus, dass dem Drittausländer zunächst Gelegenheit gegeben wird, freiwillig auszureisen.

 

Normenkette

AufenthG §§ 57, 62 Abs. 2; SDÜ Art. 21, 23

 

Gründe

I. Die Bundespolizei betrieb die Zurückschiebung der Betroffenen, einer vietnamesischen Staatsangehörigen, in die Tschechische Republik.

Am 11.2.1999 war der Antrag der Betroffenen auf Anerkennung als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet abgelehnt und diese aufgefordert worden, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Nach einem erfolglosen Asylfolgeantrag vom 18.6.2004 und zwischenzeitlicher Aus- und Wiedereinreise wurde die Betroffene am 4.5.2005 nach Vietnam abgeschoben. Am 28.11.2007 wurde sie nach erneuter illegaler Einreise in die Tschechische Republik zurückgeschoben. Gegen die Betroffene besteht ein unbefristetes Einreiseverbot. Sie wurde durch die Ausländerbehörde im nationalen Fahndungssystem zur Festnahme (Abschiebung/Ausweisung) ausgeschrieben.

Die Betroffene reiste am 26.4.2008 aus der Tschechischen Republik kommend erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde bei einer Kontrolle am gleichen Tag auf einem Autobahnparkplatz festgenommen. Sie war im Besitz eines gültigen vietnamesischen Reisepasses sowie eines darin befindlichen tschechischen Aufenthaltstitels, gültig bis 31.12.2008. Eine sofortige Zurückschiebung der Betroffenen scheiterte an der Ablehnung der tschechischen Behörden, die mitgeteilt hatten, es bestünde eine nationale SIS-Ausschreibung zur Einreisesperre, ein "Anbietungsverfahren" sei notwendig.

Auf Antrag der Bundespolizei hat das AG am 27.4.2008 nach mündlicher Anhörung der Betroffenen Sicherungshaft für die Dauer von drei Monaten sowie die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Gegen den Beschluss hat die Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Das LG hat die Betroffene am 30.5.2008 mündlich angehört. Am 2.6.2008 wurde die Betroffene in die Tschechische Republik zurückgeschoben. Die Betroffene hat daraufhin beantragt, festzustellen, dass die Haftanordnung des AG sowie der Vollzug der Haft rechtswidrig waren, und der Bundespolizei die Kosten aufzuerlegen. Mit Beschluss vom 21.7.2008 hat das LG die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen. Sie rügt insbesondere eine unrichtige Anwendung der Regelungen des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ; ABl. 2000 Nr. L 239 S. 19, nach dem Stand vom 20.12.2006, ABl. Nr. L 405 S. 1, ber. ABl. 2007, Nr. L 29 S. 3); ihr hätte gem. Art. 23 Abs. 3 SDÜ Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben werden müssen.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Nach der Antragsfassung ist nicht Gegenstand die Feststellung, ob der polizeiliche Gewahrsam der Betroffenen zwecks Vorführung vor den die Sicherungshaft anordnenden Richter zulässig war. Gleichwohl beanstandet die Betroffene im Rahmen der Rechtsmittelbegründung auch die Rechtswidrigkeit der vorläufigen Festnahme. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet die der richterlichen Haftanordnung vorausgehende vorläufige Festnahme einen gesonderten Verfahrensgegenstand, der schon wegen der damit verbundenen Antragserweiterung nicht erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren eingeführt werden kann (OLG München vom 6.11.2007, 34 Wx 117/07 zitiert nach juris).

2. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Hauptsache habe sich nach der Zurückschiebung der Betroffenen in die Tschechische Republik erledigt. Dies stehe einem fortwirkenden Rechtsschutzinteresse jedoch nicht entgegen. Es sei statthaft, dass die Betroffene ihr Rechtsmittel mit dem Ziel aufrecht erhalte, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung vom 27.4.2008 feststellen zu lassen.

Die Beschwerde sei unbegründet, da die Haftanordnung des AG nicht zu beanstanden sei. Die Bundespolizei sei gem. § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BPolG zuständige Behörde für den Antrag auf Zurückschiebungshaft gewesen. Die Ermittlungen der Kammer hätten ergeben, dass der Haftantrag für die beabsichtigte Zurückschiebung gestellt worden sei. Die Bundespolizei habe mit ihrem Antrag ausschließlich den Zweck der Zurückschiebung nach zuvor erfolgter unerlaubter Einreise verfolgt. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus den anlässlich des Haftantrags übergebenen Unterlagen. Das AG habe in der Sache auch Zurückschiebungshaft gem. § 57 Abs. 3, § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG angeordnet.

Die Haftvoraussetzungen von § 57 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 62 Abs. 2 (Satz 1) Nr. 1 AufenthG seien gegeben gewesen. Die Betroffene sei unerlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Zwar sei die Betroffene im Besitz eines gültigen vietnamesischen Reisepasses gewesen, sie habe jedoch aufgrund eines unbefristeten Einreiseverbo...

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