Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für den Verlust unbeaufsichtigt abgestellten Transportgutes
Leitsatz (amtlich)
1. Stellt der Fahrer des beauftragten Transportunternehmens das Transportgut vor dem unbesetzten Lagergebäude der Empfängerin ab, kann von einer Ablieferung nur dann ausgegangen werden, wenn eine entsprechende Weisung der Empfängerin zum Abstellen des Transportguts in der genannten Weise erteilt worden war.
2. Bei der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ist der erkennende Richter lediglich an Denk- und Naturgesetze, an Erfahrungssätze sowie ausnahmsweise an gesetzliche Beweisregeln gebunden, ansonsten darf er aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten.
3. Die Fristen des § 438 HGB beginnen erst mit Ablieferung zu laufen, sodass bei einem Totalverlust die Anwendung des § 438 HGB ausscheidet.
Normenkette
HGB § 425 Abs. 1, §§ 431, 435, 438; VVG § 86; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 21.11.2017; Aktenzeichen 13 HK O 15023/16) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21.11.2017 (Az:. 13 HK O 15023/16) durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 13.4.2018.
Gründe
I. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
Die Würdigung des Landgerichts ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Unter zutreffender Würdigung des Parteivortrags, der Gesamtumstände, der erhobenen Beweise sowie der vorgelegten Unterlagen hat das Landgericht der auf Erstattung eines Transportschadens aus übergegangenem Recht gerichteten Klage stattgegeben. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.
II. Die hiergegen von Seiten der Beklagtenpartei vorgebrachten Einwände überzeugen nicht und vermögen ihrem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Senat teilt die Einschätzung des Landgerichts, dass die Beklagte die Ablieferung des von ihr unstreitig übernommenen Transportguts nicht bewiesen hat, so dass von einem Verlust des Transportguts im Gewahrsamsbereich der Beklagten auszugehen ist.
Zu den Berufungsangriffen im einzelnen ist wie folgt Stellung zu nehmen.
1. Von der Aktivlegitimation der Klägerin ist auszugehen. Im unstreitigen Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ist ausgeführt, dass die Klägerin der Transportversicherer der R. GmbH ist. Der Tatbestand erbringt vollen Beweis für das Parteivorbringen (§ 314 ZPO). Tatbestandsberichtigung wurde nicht beantragt. Damit hat der Senat die Eigenschaft der Klägerin als Transportversicherer der R. GmbH als unstreitig zugrunde zu legen. Somit ergibt sich die Aktivlegitimation der Klägerin aus § 86 VVG. Eventuelle Schadensersatzansprüche der R. GmbH gegenüber der Beklagten als deren Unterfrachtführer sind durch Leistungserbringung seitens der Klägerin auf diese übergegangen.
Das Landgericht hat auch mit zutreffender Begründung dargelegt, warum sich vorliegend das Problem eines Quotenvorrechts nicht stellt. Dies wird von der Berufung nicht weiter problematisiert.
2. Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht von einem Verlust des Transportgutes durch die Beklagte ausgegangen.
a) Wie sich aus der Regelung des § 425 Abs. 1 HGB ergibt, dauert der Transport von der Übernahme des Transportguts durch den Transporteur bis zu dessen Ablieferung an den Empfänger. Kommt es nicht zur Ablieferung an den (richtigen) Empfänger, ist das Transportgut auf dem Transport verloren.
Ablieferung meint dabei grundsätzlich die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes (Koller, Transportrecht, 9. Aufl., § 425 HGB Rz. 21). Allerdings ist nicht notwendig das körperliche Ergreifen des Transportguts durch den Empfänger; dieses muss aber so für ihn bereitgestellt werden, dass er ohne weitere Hindernisse die Sachherrschaft ergreifen kann (Koller, a.a.O.). Die Ablieferung steht dabei zur Beweislast des Frachtführers (Koller, a.a.O. Rz. 42).
b) Die Beklagte hat eine Ablieferung des Transportguts an den Empfänger, also die Firma S. nicht bewiesen. Letztlich unstreitig hat der Fahrer M. der Beklagten das Transportgut vor dem unbesetzten Lagergebäude der Firma S. abgestellt. Unmittelbarer Besitz im Sinne tatsächlicher Besitzergreifung wurde der Firma S. damit noch nicht verschafft. Von einer Ablieferung wäre nach den dargestellten Grundsätzen daher nur dann auszugehen, wenn das Abstellen vor dem Lagergebäude ein Ergreifen der Sachherrschaft durch die S. ohne weitere Hindernisse ermöglicht hätte, was wiederum eine entsprechende Weisung der S. zum Abstellen des Transportguts in der genannten Weise bzw. eine entsprechende Abrede zwischen der S. und der Beklagten vorausge...