Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 17.05.2021; Aktenzeichen 31 O 521/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17.05.2021, Az. 31 O 521/21, aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf EUR 8.229,65 festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger erwarb am 10.03.2018 das gebrauchte Fahrzeug Audi Avant 2.0 (TDI) 110 kW mit einem Kilometerstand von 98.000 zu einem Kaufpreis von EUR 16.100 von der ... in M.. Der Kläger begehrt die Rückabwicklung des Kaufvertrags. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 288 mit einem SCR-Katalysator verbaut. Das Fahrzeug unterfällt der Abgasnorm Euro 6. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors. Die Abgasreinigung erfolgt bei dem streitgegenständlichen Motor über den SCR-Katalysator und die Abgasrückführung. Bis heute kam es weder zu einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) noch wurde die EG-Typgenehmigung entzogen. Der Motor weist ein sog. Thermofenster sowie eine Fahrkurvenerkennung auf.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 17.05.2021 Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Annahme eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten lägen vor, da das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Hierzu habe sich der Kläger zutreffend auf das Dokument "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben ..." bezogen, in der von der "Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents" die Rede sei. Die Beklagte habe dieses Vorbringen des Klägers nicht in erheblicher Weise bestritten. Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungspflicht hätte es ihr oblegen, vorzutragen, ob eine Abschalteinrichtung installiert sei und aus welchem Grund. Vage sei auch die Angabe der Beklagten im Dokument "Statusbericht Diesel KBA-Termin (Technik) 21.10.2015, W.", wonach grundsätzlich die Zusage gelte, dass die Funktion ausgebaut werde. Der Vortrag der Beklagten zu dem extrem weiten Temperaturbereich des sog. "Thermofensters" sei nicht überzeugend. Wertungen des KBA ausweislich des Berichts der Kommission V., wonach auffällig hohe NOx-Werte technisch plausibel oder akzeptabel seien, seien für den Rechtsstreit nicht bindend. Mangels Erläuterung des Begriffs der "Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents durch die Beklagte" sei daher davon auszugehen, dass es sich um Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handele. Diese unzulässige Verwendung von Abschalteinrichtungen sei auch sittenwidrig. Angesichts der zunehmenden Dringlichkeit der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus und der Eigenschaft der Bundesrepublik Deutschland als führender Standort von Automobilkonzernen, die eine Vorbildfunktion begründe, sei es als sittenwidrig zu bewerten, durch technische Maßnahmen die permanente Einhaltung der hohen Anforderungen an das Emissionsverhalten zu beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang sei das Allgemeininteresse an einem zunehmend dringlichen Umweltschutz über wirtschaftliche Eigeninteressen zu stellen. Die Annahme der Sittenwidrigkeit von einem Täuschungsverhalten gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt abhängig zu machen, verenge den Anwendungsbereich des § 826 BGB und sei abzulehnen. Der Kläger als Käufer sei mangels Offenlegung der unzulässigen Abschalteinrichtung getäuscht worden. Der Schaden liege in dem ungewollten Vertragsschluss. Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO sei von einem vorsätzlichen Handeln der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagte auszugehen.
Gegen dieses, ihr am 18.05.2021 zugestellte, Endurteil richtet sich die Berufung der Beklagten mit Schriftsatz vom 02.06.2021, fristgerecht begründet am 16.08.2021.
Die Beklagte beantragt,
das Endurteil des Landgerichts München I vom 17.05.2021 - 31 O 521/21 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die kostenpflichtige Abweisung der Berufung.
Hinsichtlich des Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie den Hinweis des Senats mit Beschluss vom 14.04.2022 Bezug genommen. Mit Beschluss vom 03.06.2022 (Bl. 358 d.A.) wurde die Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet.
II. Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich. Dem Kläger steht weder ein Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB noch sonst aus Deliktsrecht zu.
1. Der Kläger hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB nicht nachvollziehbar dargelegt.
a) Es ist bereits nicht in ausreichender Weise ersichtlich, dass dem Kläger ein Schaden entstanden ist. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat auch nach mehrfacher Überprüfung des Motortyps EA 288 (hier: Euro 6) in einem eigens hierfür entwickelten Pr...