Entscheidungsstichwort (Thema)
Kompetenzkonflikt zwischen Versicherungsspezialkammer und allgemeiner Zivilkammer
Leitsatz (amtlich)
Zur analogen Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bei einem Kompetenzkonflikt zwischen einer allgemeinen Zivilkammer und einer für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen zuständigen Spezialkammer.
1. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO findet bei einem Zuständigkeitsstreit zwischen mehreren Spruchkörpern des gleichen Gerichts entsprechende Anwendung, wenn die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuweisungsregelung abhängt (Anschluss an BGH BeckRS 2014, 6039; KG BeckRS 2018, 32681).
2. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen Versicherer und Makler über die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen aus stornierten Versicherungsverträgen ist die allgemeine Zivilkammer und nicht die Versicherungsspezialkammer funktionell zuständig.
Normenkette
GVG § 72a Abs. 1 S. 1 Nr. 4; VVG § 59; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 37
Verfahrensgang
LG Augsburg (Beschluss vom 11.07.2018; Aktenzeichen 21 O 2275/18) |
Tenor
Als funktional zuständig wird die allgemeine Zivilkammer bestimmt.
Gründe
I. Die in München ansässige Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, begehrt nach Abgabe an das im Mahnbescheid als Streitgericht bezeichnete Landgericht Augsburg mit Anspruchsbegründung vom 12.2.2018 von dem im Bezirk des Landgerichts Augsburg wohnhaften Beklagten, einem Versicherungsvermittler, Rückzahlung von Provisionsvorschüssen i.H.v. 6.150,23 EUR wegen vom Beklagten vermittelter, aber stornierter bzw. reduzierter Versicherungen. Die Parteien schlossen am 1.4.2009 einen Versicherungsagenturvertrag, wonach der Beklagte ausschließlich für die Klägerin im Wesentlichen die Erschließung neuer Kundenkreise und die Pflege der Bestandskunden übernahm. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf Ziff. 4 der nach dem Agenturvertrag geltenden Allgemeinen Provisionsbedingungen, wonach eine Abschlussprovision zurückbelastet wird, soweit ein Versicherungsvertrag storniert oder reduziert wird.
Das Verfahren wurde zunächst von der allgemeinen Einlaufstelle des Landgerichts Augsburg der für Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen gemäß § 72 a Abs. 1 Nr. 4 GVG zuständigen 9. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg zugeteilt. Nach Eingang der Anspruchsbegründung verfügte die Vorsitzende dieser Kammer die Umtragung in den allgemeinen Turnus.
Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Az.: 21 O 178/18) erklärte sich nach Zustellung der Klage und Eingang von Klageerwiderung und Replik mit Beschluss vom 25.6.2018 für unzuständig und leitete das Verfahren der 9. Zivilkammer zu. Zur Begründung ist ausgeführt, es sei die Zuständigkeit der Spezialkammer gegeben. Es handle sich zwar nicht um eine Streitigkeit zwischen Versicherungsnehmer, Versichertem oder Bezugsberechtigem einerseits und Versicherer andererseits. Unter § 72a Nr. 4 GVG würden wegen der Sachnähe aber auch Streitigkeiten aus Versicherungsvermittlung und -beratung i.S.d. § 59 VVG sowie Streitigkeiten mit Versicherungsmaklern i.S.d. § 59 Abs. 3 VVG fallen, wobei die Beteiligung des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Bezugsberechtigen nicht zwingend sei. Die im Rahmen des § 72a Nr. 4 GVG erforderliche Sachnähe ergebe sich daraus, dass zur Beurteilung der Begründetheit von Provisionsrückforderungen gegen den Versicherungsvermittler in Einzelheiten der zu Grunde liegenden Versicherungsverträge einzusteigen sei.
Der Beschluss wurde den Parteien mitgeteilt.
Mit Beschluss vom 4.7.2018 lehnte die 9. Zivilkammer (Az. 91 O 178/18) die Übernahme des Verfahrens ab mit der Begründung, es liege keine Streitigkeit i.S.d. § 72a Nr. 4 GVG vor. Eine Sachnähe zu Versicherungsvertragsverhältnissen, mit der die über den Wortlaut des § 72a Nr. 4 GVG hinausgehende Ausweitung des Anwendungsbereiches gerechtfertigt werden könne, bestehe, wenn Ansprüche eines Versicherungsnehmers gegen Versicherungsvermittler/-berater betroffen seien, die im Zusammenhang mit deren Vermittlungs- oder Beratungstätigkeit stehen. Insoweit gehe es um die unmittelbare Einwirkung dieser Personen auf den konkreten Versicherungsvertrag und die im Versicherungsvertragsgesetz enthaltenen Regelungen. Im vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich, inwiefern zur Begründetheit der Klage Einzelheiten der zugrundeliegenden Versicherungsverträge beurteilt werden müssten.
Mit Beschluss vom 11.7.2018 hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg (Az. nunmehr: 21 O 2275/18) die Akten dem Oberlandesgericht München (Az.: 34 AR 114/18) zur Bestimmung der zuständigen Zivilkammer entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Dieser Beschluss wurde mit dem Ablehnungsbeschluss der 9. Zivilkammer vom 4.7.2018 den Parteien mitgeteilt.
Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Die Klägerin hat vorgetragen, es bestehe die Möglichkeit, dass im Rahmen der Beweisaufnahme die Frage zu prüfen sei, wer die Nichtausführung eines Versicherungsvertrages z...