Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen langandauernder Untätigkeit trotz Erinnerungsschreiben der Partei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die bloße Untätigkeit des Richters über einen gegebenenfalls auch längeren Zeitraum stellt im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund dar, weil sie die Parteien gleichermaßen belastet und aus ihr regelmäßig keine der Parteien folgern kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.

2. Ein Ablehnungsgrund kann aber unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles dann in Betracht kommen, wenn der Richter eine Sache unter Nichtbeantwortung von Erinnerungsschreiben der Partei langandauernd nicht bearbeitet und dieses Vorgehen aus der Sicht auch eines vernünftigen Dritten in derselben Lage wie die Partei einer Rechtsverweigerung gleich kommt (so auch OLG Dresden BeckRS 2010, 10409).

 

Normenkette

ZPO §§ 42, 44, 46-47

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts München ..., abgeändert und das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 23.07.2018 gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... für begründet erklärt.

2. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 19.085,29 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler bei einer Kaiserschnittentbindung am 31.07.2014 geltend.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 9.05.2019 (Bl. 222/226 d.A.) das mit Schriftsatz vom 23.07.2018 (Bl. 175/181 d.A.) gestellte und mit Schriftsatz vom 15.03.2019 (Bl. 200/215 d.A.) ergänzend begründete Ablehnungsgesuch der Klägerin wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht S1., der am 8.03.2019 (Bl. 197 d.A.) eine dienstliche Äußerung dazu abgegeben hat, zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25.05.2019 (Bl. 230/271 d.A. = Bl. 277/318 d.A.) sofortige Beschwerde erhoben, der das Landgericht mit Beschluss vom 03.06.2019 (Bl. 273/275 d.A.) nicht abgeholfen hat. Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 17.06.2019 (Bl. 320/326 d.A.) und - nach Akteneinsicht beim Oberlandesgericht - vom 15.07.2019 (Bl. 329/331 d.A.) ihr Beschwerdevorbringen ergänzt.

Die Beklagten sind der Beschwerde mit Schriftsatz vom 6.08.2019 (Bl. 333/334 d.A.) entgegengetreten.

II. Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist begründet, weil sie glaubhaft gemacht hat, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, berechtigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des ... zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).

1. Der Senat teilt zwar auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens die Auffassung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss, dass sich aus dem Inhalt und der Formulierung des Beweisbeschlusses vom 26.04.2018 die Besorgnis der Befangenheit von ... nicht ableiten lässt.

2. Die Klägerin hat aber im Hinblick auf die zeitliche Verfahrensgestaltung glaubhaft gemacht, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, berechtigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des ... zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).

Besorgnis der Befangenheit ist zu bejahen, wenn ein objektiv vernünftiger Grund gegeben ist, der die Partei von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch allein nach sachlichen Gesichtspunkten entscheiden. Eine unsachgemäße Verfahrensleitung kann die Befangenheit eines Richters begründen; das ist anzunehmen, wenn sich das prozessuale Vorgehen des Richters soweit von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.

Die bloße Untätigkeit des Richters über einen gegebenenfalls auch längeren Zeitraum stellt im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund dar, weil sie die Parteien gleichermaßen belastet und aus ihr regelmäßig keine der Parteien folgern kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Anders kann es aber ausnahmsweise unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles liegen. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Richter eine Sache unter Nichtbeantwortung von Erinnerungsschreiben der Partei langandauernd nicht bearbeitet und dieses Vorgehen aus der Sicht auch eines vernünftigen Dritten in derselben Lage wie die Partei einer Rechtsverweigerung gleich kommt (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009 - 3 W 526/09, juris-Tz. 3; ähnlich OLG Bamberg, Beschl. v. 11.11.1999 - SA F 31/99, juris-Tz-. 5; zur grundlosen Verweigerung von Akteneinsicht BayObLG, Beschl. v. 20.07.2000 - 2 Z BR 49/2000, juris-Tz. 10 f; Zöller/Vollkommer, ZPO 30. Aufl. § 42 Rn. 24 m.w.N.).

Ein solcher Fall liegt hier nach dem maßgeblichen aktuellen Sachstand vor. Das Landgericht hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die hiesige lange Verfahrensdauer nur teilweise auf Untätigkeit des abgelehnten Richters zurückzuführen war, insbesondere die spä...

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