Leitsatz (amtlich)

Zur Feststellung der Verfahrensunfähigkeit bei mangelnder Mitwirkung eines Betroffenen, der im Wohnungseigentumsverfahren Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche verfolgt.

 

Verfahrensgang

LG München I (Entscheidung vom 27.04.2006; Aktenzeichen 1 T 3726/03)

AG München (Aktenzeichen 484 UR II 990/01)

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin war Wohnungseigentümerin in einer Wohnanlage, die von der Antragsgegnerin verwaltet wird. Seit etwa 1999 stellte die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin bei Gericht eine Vielzahl von Anträgen.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom 20.9.2001 begehrt die Antragstellerin Schadensersatz für ihren Kosten- und Zeitaufwand zur Verfolgung ihrer Rechte in Höhe von 10.000 DM sowie ein Schmerzensgeld wegen seelischer Grausamkeiten und Psychoterror in gleicher Höhe.

Das Amtsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 25.9.2002 als unschlüssig zurückgewiesen. Die Gerichtskosten hat es der Antragstellerin auferlegt. Von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten hat das Gericht abgesehen.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt und in einer Vielzahl von Schreiben weitere Ausführungen gemacht und Anträge gestellt. Die Antragsgegnerin hat unselbständige Anschlussbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszugs auferlegt werden.

Nach Erholung eines Sachverständigengutachtens zur Verfahrensfähigkeit und nach mündlicher Verhandlung, zu der die Antragstellerin persönlich geladen, jedoch nicht erschienen war, hat das Landgericht durch Beschluss vom 27.4.2006 den Antrag unter Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung als unzulässig verworfen und der Antragstellerin die gerichtlichen und die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge auferlegt. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1.

Das Rechtsmittel ist unbeschadet der Frage der Verfahrensfähigkeit der Antragstellerin zulässig. Zwar ist die Verfahrens- bzw. Prozessfähigkeit Voraussetzung für die Wirksamkeit von Prozesshandlungen (Zimmermann in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 13 Rn. 44), zu denen auch die Einlegung von Rechtsmitteln gehört. Die Rechtsbeschwerde ist aber zulässig, weil in Antragsverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ebenso wie im Zivilprozess der Grundsatz gilt, dass eine prozessunfähige Partei solange als prozessfähig zu behandeln ist, bis ihre Prozessunfähigkeit festgestellt ist (vgl. BGHZ 110, 294/295 und 143, 122/123; BayObLG FGPrax 2005, 197; OLG Stuttgart NJW 2006, 1887). Einem verfahrensunfähigen Beteiligten ist es daher möglich, eine zulässige Rechtsbeschwerde mit der Behauptung einzulegen, die Vorinstanz hätte ihn zu Unrecht als verfahrensunfähig behandelt. Insoweit kann er auch einen Rechtsanwalt bevollmächtigen.

2.

Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Antrag sei als unzulässig zu verwerfen. Nach Überzeugung der Kammer habe bereits in der ersten Instanz eine Verfahrensunfähigkeit der Antragstellerin jedenfalls bezogen auf die Führung von gerichtlichen Verfahren in Wohnungseigentumssachen vorgelegen. Das Gericht stütze seine Bedenken auf die schwer durchschaubare Flut von Verfahren und Anträgen, die bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht seien und die die Antragstellerin in einer Art und Weise betreibe, die keinem vernünftigen Augenmaß mehr entspreche. Die Antragstellerin fühle sich nicht nur von der Hausverwaltung, sondern auch vom Gericht verfolgt. Der Sachverständige habe diese Einschätzung in seinem schriftlichen Gutachten bestätigt. Er habe nicht nur das vorliegende, sondern weitere Verfahren ab 1999 in sein Gutachten einbezogen, das er aufgrund der Akteninhalte erstellt habe. Wie der Sachverständige aufgezeigt habe, habe sich bei der Antragstellerin die Vorstellung, ihre Rechte seien beeinträchtigt, von einer zunächst überwertigen Idee intensiviert und zu einer wahnhaften Störung verdichtet. Dass eine solche Entwicklung eingetreten sei, habe der Sachverständige an Hand einer Fülle von Anknüpfungstatsachen und Belegzitaten aus Schreiben der Antragstellerin nachgewiesen, wobei die Verfahrensunfähigkeit mit der erforderlichen Sicherheit nur den Zeitraum ab dem Jahr 2002 betreffe, nicht schon den Zeitpunkt der Antragstellung am 20.9.2001. Die von der Antragstellerin vorgelegten Atteste von Ärzten für Neurologie und Psychiatrie sowie der Inneren Medizin könnten das Ergebnis des Sachverständigenbeweises nicht erschüttern, zumal es nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen der psychiatrischen Empirie entspreche, dass sich isolierte Wahnbildungen nur auf den Wahn bezögen, während die Entscheidungsmöglichkeiten der betroffenen Person in anderen Bereichen ungestört seien. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung sei nicht möglich gewesen. Die Antragstellerin habe sich einer persönlichen Anhörung durch das Gericht, sei es im Beisein des Gutachters, sei es ohne diesen, entzogen.

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