Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch einer Prozesspartei auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn ihr gegnerische Schriftsätze, die zu den Akten gereicht worden sind, entgegen § 270 S. 1 ZPO nicht vollständig mitgeteilt werden. Dieser Eingriff in die prozessualen Rechte der Partei kann nicht dadurch kompensiert werden, dass ihrem Prozessvertreter die Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des Gerichts gestattet wird. Auch ein Geheimhaltungsinteresse des Gegners rechtfertigt den Eingriff nicht.
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 14.10.2004; Aktenzeichen 33 O 23315/03) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des LG München I v. 14.10.2004 - 33 O 23315/03, aufgehoben.
II. Das LG hat dem Beklagtenvertreter eine Ablichtung von Anlagenkonvolut K 21 zuzuleiten.
III. Der Beschwerdewert wird auf 45.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer wird im Ausgangsverfahren vor dem LG München I wegen Markenverletzung u.a. auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadenersatzpflicht in Anspruch genommen. Zur Rechtsverteidigung erhebt er in der Klageerwiderung v. 10.2.2004 zunächst die Einrede mangelnder rechtserhaltender Benutzung der unter Nr. 383 205 beim DPMA für Waren der Klassen 7, 6, 9, 11, 12 und 20 (u.a. Mühlen) eingetragenen Klagemarke "M."; im Wege der Widerklage (Schriftsatz v. 10.5.2004) verlangt er überdies Einwilligung in die Löschung dieser Klagemarke wegen Verfalls (§ 49 MarkenG).
Zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung hat die Klägerin - nach wiederholt gewährten Fristverlängerungen - unter dem 9.9.2004 schließlich als Anlagen K 21a bis K 21m ein umfangreiches Konvolut von Korrespondenzunterlagen bei Gericht mit der Anregung eingereicht, die Kammer möge "in geeigneter Weise dafür Sorge [tragen], dass der Beklagte die übergebenen Unterlagen nicht zweckfremd nutzen" könne, insofern sich daraus ihr Kundenstamm, d.h. ein Geschäftsgeheimnis ergebe. Zu diesem Zweck hat sie beantragt (Bl. 101 f. d.A.), lediglich dem Beklagtenvertreter auf der Geschäftsstelle des Gerichts dergestalt Einsicht in Anlagenkonvolut K 21a bis K 21m zu gewähren, dass dieser keine Kopien ziehen und sich auch keine Notizen über Namen und Kontaktadressen der Kunden machen könne. Zur Begründung hat sie in ihrem Schriftsatz v. 8.10.2004 (Bl. 120 d.A.) ausgeführt, es gehe ihr nicht darum, in der Art eines Geheimprozesses dem Beklagten die Korrespondenz schlechthin vorzuenthalten; vielmehr wolle sie bei den "im Rahmen ihrer Beweispflicht vorgelegten Benutzungsunterlagen" lediglich ihre berechtigten Interessen an daraus ersichtlichen nicht entscheidungserheblichen Tatsachen, nämlich dem Kundenstamm, wahren. Die im Zuge der Akteneinsicht gewonnenen Erkenntnisse über den Umfang der Nutzung des Klagezeichens "M." für Ersatzteile könne der Beklagtenvertreter ohne weiteres mit seinem Mandanten erörtern. Dieses Vorgehen sei mit der ZPO durchaus in Einklang zu bringen und werde gerade im gewerblichen Rechtsschutz - etwa in Gestalt des Wirtschaftsprüfervorbehalts bei Auskunftsverpflichtungen, aber auch gem. §§ 172 Nr. 3 i.V.m. 174 Abs. 3 S. 1 GVG, wonach im Fall der Erörterung eines privaten Geheimnisses die Öffentlichkeit ausgeschlossen und der Parteivertreter verpflichtet werden könne, seinem Mandanten nicht über alle gewonnenen Informationen Auskunft zu erteilen - ständig praktiziert.
Entsprechend richterlicher Verfügung v. 14.9.2004 (Bl. 97 d.A.) hat das LG dem Beklagten nur den klägerischen Schriftsatz v. 9.9.2004 - ohne Anlagenkonvolut K 21a-K 21m - zur Stellungnahme bis 8.10.2004 übermittelt. Das Begehren des Beklagten, die zurückgehaltenen Unterlagen nachzureichen, hilfsweise ihm Akteneinsicht durch Überlassung der Gerichtsakte für drei Tage in seine Kanzlei zu gewähren (Bl. 115 d.A.), hat es (nach Anhörung der Klagepartei) mit Beschluss v. 14.10.2004 (Bl. 125 d.A.) unter Verweis auf die Kommentierung bei Zöller/Greger (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 299 Rz. 4a) dahingehend beschieden, dass "nach Abwägung der - [beiderseits] vorgetragenen Argumente dem Beklagtenvertreter bezüglich der Anlage K 21 Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle gewährt [werde]; die Anfertigung oder Übersendung vollständiger Kopien der umfangreichen Auftragsbestätigungs- und Rechnungskopien u.ä. [werde] nicht gestattet".
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten v. 25.10.2004 (Bl. 127 ff. d.A.). Er macht geltend, seinem Anspruch auf rechtliches Gehör könne nur dadurch Genüge getan werden, dass ihm der gesamte gegnerische Prozessvortrag einschließlich eingereichter Anlagen vollständig übermittelt werde, zumal die ihm vorenthaltenen Dokumente die allein prozessentscheidende Frage der behaupteten rechtserhaltenden Benutzung der Klagemarke durch Verwendung des Zeichens M. für Ersatzteile der geschützten Waren beträfen. Ohne die Mitwirkung des Beklagten persönlich könne der Prozessbevollmächtigte dies im Rahmen der Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle nicht sachgerecht beurteilen.
Der Beklagte und Beschwerd...