Leitsatz (amtlich)

1. Erstattungsschuldner außergerichtlicher Auslagen eines Betroffenen in einem Abschiebungshaftverfahren ist nicht die Staatskasse (Justizfiskus), sondern der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, bei dem (der) die antragstellende Behörde besteht (im Anschluss an BayObLGZ 1980, 288).

2. Eine Verpflichtung des Trägers der Ausländerbehörde, die außergerichtlichen Kosten eines Betroffenen zu tragen, besteht auch dann, wenn sich die Hauptsache im Laufe des Verfahrens erledigt hat und das Verfahren ergeben hat, dass kein begründeter Anlass für die Antragstellung bestand.

 

Normenkette

FreihEntzG § 16; AufenthG § 62 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 27.09.2006; Aktenzeichen 7 T 469/06)

AG Regensburg (Aktenzeichen XIV B 0044/06)

 

Tenor

I. Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Beschluss des LG Regensburg vom 27.9.2006 wird wie folgt neu gefasst:

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Regensburg vom 31.8.2006 rechtswidrig ist.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Landkreis Regensburg auferlegt.

III. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren werden ebenfalls dem Landkreis Regensburg auferlegt.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines türkischen Staatsangehörigen. Dieser reiste am 24.8.2006 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein, ohne im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Visums zu sein. Er besaß lediglich einen türkischen Personalausweis, aus dem sich ergab, dass er zum Zeitpunkt seiner Festnahme 16 Jahre alt war. Die Ausländerbehörde beantragte am 25.8.2006 beim zuständigen AG, den Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von zwei Wochen in Haft zu nehmen, da er illegal eingereist sei und der Verdacht bestehe, dass er sich der Abschiebung entziehen wolle. Mit Beschluss vom 25.8.2006 ordnete das AG mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft gegen den Betroffenen bis längstens 7.9.2006 an.

Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das AG mit Folgebeschluss vom 31.8.2006 die Abschiebungshaft antragsgemäß vom 8.9.2006 bis längstens 5.10.2006 verlängert. Anlass für den Verlängerungsantrag war, dass die Vorführung des Betroffenen bei seiner konsularischen Vertretung notwendig wurde. Im Rahmen der Vorführung am 12.9.2006 ergab sich, dass die in der Türkei lebende Mutter des Betroffenen die erforderliche Unterschrift für die Ausstellung eines Heimreisescheins verweigerte. Das türkische Generalkonsulat erklärte daraufhin, dass der Heimreiseschein erst beantragt werden könne, wenn der Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet habe. Da die Abschiebung des Betroffenen somit vor dem 10.10.2007 nicht weiter betrieben werden kann, wurde der Betroffene am 13.9.2006 aus der Sicherungshaft entlassen.

Gegen den Beschluss des AG vom 31.8.2006 hat der Betroffene am 7.9.2006 sofortige Beschwerde eingelegt. Nach seiner Entlassung hat der Betroffene beantragt, festzustellen, dass der Beschluss vom 31.8.2006 rechtswidrig war und die Ausländerbehörde seine notwendigen Auslagen zu tragen hat. Das LG hat mit Beschluss vom 27.9.2006 festgestellt, dass die verhängte Abschiebungshaft rechtswidrig war und die notwendigen Auslagen des Betroffenen dem "Landratsamt R. als Antragsteller" auferlegt. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Ausländerbehörde.

II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Ausländerbehörde ist zulässig entsprechend § 7 Abs. 2 Halbs. 2 FreihEntzG, § 29 Abs. 4 FGG i.V.m. § 20 Abs. 1 FGG. Die Ausländerbehörde ist auch nach Erledigung der Hauptsache durch die Entscheidung des LG beschwert, weil dadurch die Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung festgestellt wird. Die Entscheidung bindet nämlich hinsichtlich möglicher anschließender Rechtsstreitigkeiten betreffend Schadenersatz und Schmerzensgeld (vgl. BGH NVwZ 2006, 963).

2. Das LG hat ausgeführt:

Zwar sei der Betroffene ohne Reisepass und gültiges Visum unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist und deshalb vollziehbar ausreisepflichtig. Auch habe seine Ausreise der Überwachung bedurft. Der Betroffene sei auch nur zufällig an der Autobahn aufgegriffen worden, woraus sich der Verdacht ableite, er werde sich einer Abschiebung entziehen. Die Haftgründe gem. § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG lägen daher vor. Gleichwohl habe kein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags auf Anordnung der Abschiebungshaft vorgelegen, da die Ausländerbehörde den Sachverhalt in Bezug auf die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht hinreichend aufgeklärt habe. Zwar schließe die Minderjährigkeit eines Ausländers nicht generell die Anordnung von Sicherungshaft aus, es seien jedoch erhöhte Anforderungen an die Beachtung des Beschleunigungsgebots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Minderjährige seien besonders schutzwürdig; sie würden durch...

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