Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine ausdrückliche Regelung der Erbfolge für den Fall des Todes des Erstversterbenden

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem die Ehegatten keine ausdrückliche Regelung der Erbfolge für den Fall des Todes des Erstversterbenden getroffen haben (im Anschluss an OLG München ZEV 2020, 20).

 

Normenkette

BGB §§ 2084, 2105 Abs. 1, §§ 2265, 2269, 133

 

Verfahrensgang

AG Memmingen (Beschluss vom 15.11.2019; Aktenzeichen 1 VI 2371/18)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Memmingen - Nachlassgericht - vom 15.11.2019 wird aufgehoben.

2. Der Antrag der Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweist, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Aus der Ehe des Erblassers mit der Beteiligten zu 1 gingen die Beteiligten zu 2 und 3 hervor. Für den Beteiligten zu 3 ist ein Abwesenheitspfleger bestellt.

Es liegt ein gemeinschaftliches Testament der Ehegatten vom 2.8.2016 vor, das wie folgt lautet:

"Testament von (... = Erblasser) und (... = Beteiligte zu 1).

(Ort) den 2.8.2016

Geboren: (= Beteiligte zu 1) (Geburtsdatum)

(= Erblasser) (Geburtsdatum)

Wir beide besitzen gemeinsam Haus mit Grundstück und etwas Ersparnis auf der Reifeisenbank (...).

Allein Erbe ist unser Sohn (... = Beteiligter zu 2)

(Geburtsdatum)

Sohn (... = Beteiligter zu 3) (Geburtsdatum) hat kein Anspruch also Enterbt Dieses Testament ist nur gültig Wen wir Beide Tot sind Unterschrift Unterschrift (Erblasser) Beteiligte zu 1"

Die Beteiligte zu 1 beantrage am 7.8.2019 die Erteilung eines Erbscheins, der bezeugt, dass sie aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments Alleinerbin des Erblassers ist. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind der Auffassung, dass aus dem Gesamtzusammenhang des Testaments der Wille der Ehegatten ersichtlich sei, sich für den Tod des Erstversterbenden gegenseitig zu Alleinerben einzusetzen. Die Ehegatten hätten nicht gewollt, dass nach dem Tod des Erstversterbenden die gesetzliche Erbfolge eintrete. Der Beteiligte zu 3 habe an dem gemeinsamen Besitz nicht beteiligt sein sollen.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 15.11.2019 die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Abwesenheitspflegers des Beteiligten zu 3.

II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass sich im Rahmen der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments der Ehegatten vom 2.8.2016 nach dem Willen der Ehegatten die Einsetzung der Beteiligte zu 1 als Alleinerbin nach dem Vorversterben des Erblassers ergebe.

1. Eine ausdrückliche Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin für den Fall des Vorversterben ihres Ehegatten bzw. eine ausdrückliche gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten für den Fall ihres Ablebens findet sich in dem gemeinschaftlichen Testament vom 2.8.2016 nicht.

2. Eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 für den Fall des Erstversterbens ihres Ehegatten ergibt sich auch nicht im Wege der individuellen Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments vom 2.8.2016.

a) Bei einer Testamentsauslegung gemäß § 133 BGB kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BGH ZEV 1997, 376 FamRZ 2012,26; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. ≪2020 ≫, § 2084 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Czubayko ErbR, 3. Aufl. § 2084 Rn. 9; Firsching/Graf/Krätzschel NachlassR, 11. Aufl., § 9 Rn. 11; BeckOGK/Gierl BGB § 2084 Rn. 9 ff.; NK-Erbrecht/Fleindl, 5. Aufl., § 2084 Rn. 3). Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann den aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sie ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig (BGH NJW 1981, 1737; OLG München FGPrax 2013, 2). Auch wenn Ehegatten sich üblicherweise gegenseitig selbst bedenken, stellt diese Tatsache keinen ausreichenden Anhalt für eine gegenseitige Erbeinsetzung dar. Die gegenseitige Erbeinsetzung kann daher nicht allein aufgrund der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes angenommen werden (BGH NJW 1981, 1737, 1738); NK-Erbrecht/Gierl a.a.O. § 2269 Rn. 10; Horn in Horn/Kroiß Testamentsauslegung, 2. Auflage, § 24 Rn. 62; Firsching/Graf/Krätzschel NachlassR, 11. Aufl., § 9 Rn. 17 "Fehlende Alleinerbeneinsetzung").

b) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze teilt der Senat nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass der von der Beteiligten zu 1 angebrachte Wille betreffend eine gegenseitige Alleinerbeinsetzung für den Fall des Ablebens eines der Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament angedeutet ist.

aa) Die von den Ehegatten angeordneten letztwilligen Verfügungen (Einsetzung des Beteiligten zu 2 als Alleinerbe und Enterbung des Beteiligten zu 3) betreffen allein den Fall, dass beide Ehegatten verstorben sind. In dem am Ende, vor ihrer Unterschrift niedergelegten Absatz, haben sie ausdrücklich erklärt, dass "dieses Testament nur gültig ist, wenn wir beide Tot sind". Insofer...

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