Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfall - Nebenfolge einer Ordnungswidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die vereinbarte Leistungsart "Ordnungswidrigkeiten-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfes einer Ordnungswidrigkeit" (§ 2 Buchst, j ARB 2010/ARB 2000) in einer Firmen-Rechtsschutzversicherung umfasst auch die Rechtsverteidigung gegen eine Verfallsanordnung gemäß § 29a OWiG.
Beim Verfall handelt es sich um eine Nebenfolge einer Ordnungswidrigkeit, die mit zum vom Gesetzgeber vorgesehenen Reaktionskatalog auf Ordnungswidrigkeiten gehört. Eine Einschränkung des Leistungsversprechens auf Verfahren, die mit einem Bußgeldbescheid enden oder enden sollen, ist der Klausel des Versicherers nicht zu entnehmen.
Normenkette
OWiG § 1 Abs. 1, § 29a; ARB § 2 Buchst. j; ZPO § 522 Abs. 2
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 09.06.2016; Aktenzeichen 25 O 23514/15) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des LG München I vom 09.06.2016, Az. 25 O 23514/15, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Das LG hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung im tenorierten Umfang stattgegeben. Die Einwendungen der Beklagten in der Berufungsbegründung führen zu keiner anderen Bewertung.
Versichert ist nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen "Ordnungswidrigkeiten-Rechtsschutz für die Verteidigung wegen des Vorwurfes einer Ordnungswidrigkeit" im Rahmen einer Firmen-Rechtsschutzversicherung.
Wie bereits das LG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils näher dargelegt hat, ist für die Auslegung dieser Klausel nach ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der Klausel maßgeblich, und zwar grundsätzlich nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., Einleitung, Rn. 271). Eine gewisse Einschränkung besteht bei Ausdrücken der Rechtssprache. Ausdrücke, mit denen die Rechtssprache feste Begriffe verbindet - wie hier "Ordnungswidrigkeit" -, sind im Zweifel in diesem Sinne zu verstehen (vgl. Armbrüster, a.a.O., Rn. 272).
Hiervon ausgehend teilt der Senat die Bewertung des LG, dass es sich bei der Rechtsverteidigung gegen eine - selbstständige - Verfallsanordnung gemäß § 29a OWiG um die Verteidigung wegen des Vorwurfes einer Ordnungswidrigkeit handelt. Auf die Begründung des LG wird zunächst Bezug genommen, ergänzend ist Folgendes anzumerken:
In § 1 Abs. 1 OWiG ist eine Ordnungswidrigkeit legaldefiniert als eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Es handelt sich um eine rein formale Definition, indem einzig und allein an die vom Gesetzgeber angedrohte Rechtsfolge angeknüpft wird; als zulässige Rechtsfolge muss die Ahndung mit einer Geldbuße lediglich vorgesehen sein (Rogall in KK-OWiG, 4. Aufl., § 1 Rn. 1, Rn. 9) - nicht aber tatsächlich erfolgen. Wenn begrifflich eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, kommen als Rechtsfolge neben einem Bußgeld vielmehr auch andere Rechtsnachteile und Unrechtsfolgen in Betracht, wie z.B. Einziehung oder Verfall (vgl. Rogall, a.a.O., Rn. 11 ff., 15). Nach seiner Rechtsnatur ist der Verfall wie die Einziehung sog. "Nebenfolge" einer Ordnungswidrigkeit; dem steht nicht entgegen, dass beim Verfall gemäß § 29a OWiG aufgrund der gesetzlichen Konzeption eine Kombination von Hauptrechtsfolge und Nebenfolge ausgeschlossen ist (vgl. näher Rogall, a.a.O., § 29a, Rn. 5: "Man kann den Begriff der "Nebenfolge" aber auch abstrakt definieren; und zwar als die untergeordnete Tatfolge im Haupt- und Nebenfolgen umfassenden gesetzlichen System der staatlichen Reaktionen auf Ordnungswidrigkeiten und mit Geldbuße bedrohte Handlungen."). Die Zugehörigkeit auch des Verfalls zum Reaktionskatalog auf Ordnungswidrigkeiten zeigt auch die Einbettung in die Systematik des OWiG. Die eigentliche Regelung des § 29a befindet sich im Ersten Teil des OWiG, also in den "Allgemeinen Vorschriften", wobei im betreffenden Sechsten Abschnitt daneben in § 30 die Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen geregelt ist - eine Sanktion, die offensichtlich auch nach Ansicht der Beklagten vom Versicherungsschutz umfasst wäre. Die zugehörigen verfahrensrechtlichen Regelungen finden sich im Zweiten Teil des OW...