Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrenskostenhilfe: Hauptantrag im Gewaltschutzverfahren nach Erlass einer einstweiligen Anordnung
Leitsatz (redaktionell)
Im Hauptsacheverfahren nach §§ 1, 2 GewSchG kann Verfahrenskostenhilfe nicht schon deshalb verweigert werden, weil der Antragsteller gleichzeitig ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingeleitet hat.
Normenkette
FamFG §§ 49, 76 Abs. 1-2; ZPO § 114 S. 1; GewSchG §§ 1-2
Verfahrensgang
AG München (Beschluss vom 04.01.2012; Aktenzeichen 543 F 13477/11) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 16.1.2012 hin wird der Beschluss des AG München vom 4.1.2012 aufgehoben.
II. Der Antragstellerin wird ab Antragstellung für ihren Antrag Ziff. 1 bis 3 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Eine Ratenzahlungsbestimmung wird nicht getroffen.
IV. Zur Wahrnehmung der Rechte wird Rechtsanwalt Dr. Niebling, Waldstraße 22, 82049 Pullach, beigeordnet, soweit Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde.
V. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Antragstellerin hatte zunächst beim AG München einen Antrag auf Eriass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz gestellt, Az.: 543 F 13458/11. Antragsgemäß hat das AG einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz am 21.12.2011 erlassen, wonach die Wohnungszuweisung befristet bis 30.4.2012 sowie ein Kontaktverbot befristet bis 20.6.2012 ausgesprochen wurde.
Die Antragstellerin beantragt nunmehr mit Antrag vom 18.12.2011 die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nach dem Gewaltschutzgesetz. Betreffend Wohnungszuweisung und des Kontaktverbotes hat die Antragstellerin einen inhaltsgleichen Antrag gestellt wie in der einstweilige Anordnung.
Für das Verfahren hat die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.
Mit Beschluss vom 4.1.2012 hat das AG München den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass effektiver Rechtsschutz hier bereits durch den Beschluss vom 21.12.2011 im Verfahren der einstweiligen Anordnung erreicht wurde und eine bemittelte Partei zunächst abwarten würde, bevor ein Hauptsacheverfahren anhängig gemacht würde. Der Hauptsacheantrag sei daher zum jetzigen Zeitpunkt mutwillig.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 16.1.2012.
II. Die nach §§ 76 Abs. 2 FamFG, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet.
Die Frage, ob Verfahrenskostenhilfe für einen Hauptantrag nach dem Gewaltschutzgesetz wegen Mutwilligkeit nicht zu bewilligen ist, soweit in einer Gewaltschutzsache antragsgemäß durch einstweilige Anordnung entschieden wurde, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich entschieden.
Einerseits wird die Meinung vertreten, dass, falls antragsgemäß die Gewaltschutzsache durch einstweilige Anordnung entschieden wurde, für einen zeitgleich eingereichten Hauptsacheantrag, der auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichtet ist, Verfahrenskostenhilfe wegen Mutwilligkeit nicht zu bewilligen ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.11.2009 - 2 F 215/09, NJW 210, 540; OLG Celle, FamRZ 210, 1586).
Andererseits wird auch die Meinung vertreten, dass Verfahrenskostenhilfe einem Antragsteller im Hauptsacheverfahren nach §§ 1, 2 GewSchG nicht schon deshalb verweigert werden kann, weil er gleichzeitig ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingeleitet hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 9.12.2009 - 10 WF 274/09). Der Senat schließt sich der letzteren Ansicht an.
Grundsätzlich können in Bezug auf einen Verfahrensgegenstand in allen Bereichen von Familiensachen i.S.d. § 111 FamFG Verfahren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach den §§ 49, 214 ff. FamFG und zur jeweiligen Hauptsache parallel geltend gemacht werden, weil im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich eine summarische Prüfung des Sachverhalts erfolgt und insbesondere keine materiell bindende Entscheidung getroffen werden kann. Entsprechend kann, wenn für beide Verfahren Verfahrenskostenhilfe beantragt wird, grundsätzlich keine Mutwilligkeit i.S.d. § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO angenommen werden. Dem steht auch nicht der Gesichtspunkt entgegen, dass nach der Gesetzesbegründung das Verfahren der einstweiligen Anordnung ein entsprechendes Hauptsacheverfahren überflüssig machen soll. Entscheidend ist, ob für das Hauptsacheverfahren bei erlassener einstweiliger Anordnung die Notwendigkeit besteht, im Erkenntnisverfahren zur Hauptsache eine bindende Entscheidung herbeizuführen.
Die Antragstellerin hat im konkreten Fall einen Anspruch im Hauptsacheverfahren eine bindende Entscheidung, wenn auch befristet, herbeizuführen. Nach Sachlage ist nicht erkennbar, dass bereits feststeht, dass der Antragsgegner die Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren ohne weiteres hinnehmen wird, zumal er sich bis Mitte Januar 2012 seit längerer Zeit im Ausland aufgehalten hat. Solange nicht feststellbar Ist, dass sich der Streit umfassend im Rahmen de...