Leitsatz (amtlich)
Bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen handelt es sich nicht um Verfahrensrecht, sondern um eine Regelung des sachlichen Rechts, so dass bei einer Gesetzesänderung zwischen Tat und Verurteilung das mildeste Gesetz Vorrang hat.
Normenkette
StGB § 2 Abs. 1; StVG § 29 Abs. 8
Tatbestand
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 17.11.2008 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und unerlaubten Entfernens vom Unfallort zur Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten; außerdem entzog es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis, zog seinen Führerschein ein und wies die Verwaltungsbehörde an, vor Ablauf von einem Jahr und neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft änderte das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ein Jahr und drei Monate betrug; im Übrigen verwarf es die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet. Die Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht mit der Maßgabe als unbegründet, dass die Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis auf ein Jahr und einen Monat herabgesetzt wurde; der Entzug der Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins wurden aufrecht erhalten.
Mit seiner Revision, die sich allein gegen den Rechtsfolgenausspruch richtete, rügte der Angeklagte die Verletzung des materiellen Rechts. Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch sonst zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg, weil die Strafzumessung insoweit - und nur insoweit - rechtsfehlerhaft ist, als sie auf einschlägige Vorstrafen des Angeklagten abstellt; denn die Vorahndungen vom 30.09.1994 - fahrlässige Trunkenheit im Verkehr - und vom 16.03.2000 - fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr - unterlagen dem Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 Sätze 1 und 2 StVG und durften deshalb nicht mehr zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.
1.
Nach der genannten Bestimmung - in der hier noch maßgeblichen Fassung - dürfen Vorstrafen eines Angeklagten für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG, das heißt hier nach § 28 Abs. 2 Nr. 3 StVG für die Ahndung der Verstöße einer Person, die wiederholt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen hat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt oder tilgungsreif ist; unterliegen diese Eintragungen einer zehnjährigen Tilgungsfrist, dürfen sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist nach den Vorschriften des § 29 StVG entspricht, nicht mehr zum Nachteil eines Angeklagten verwertet werden, selbst wenn die früheren Verurteilungen einer zehnjährigen Tilgungsfrist unterliegen, § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG. Sind Entscheidungen im Verkehrszentralregister getilgt oder tilgungsreif, aber noch im Bundeszentralregister aufgeführt, gilt das mit umfassender Wirkung ausgestattete Verwertungsverbot des § 29 Abs. 8 StVG gleichwohl, denn den Tilgungsfristen des § 29 StVG - in der hier maßgeblichen Fassung - liegt der Gedanke der Bewährung im Sinne der Verkehrssicherheit zugrunde, während es bei den Tilgungsfristen und dem Verwertungsverbot nach dem Bundeszentralregistergesetz um eine Umsetzung des Resozialisierungsgedankens geht (ständige Rspr. des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 16.10.2009 - 4St RR 142/09; OLG München NStZ-RR 2008, 89 = NZV 2008, 216; ferner KG NJW 2009, 1015 und VRS 106,130/131 jeweils m.w.N. sowie BayObLG DAR 1996, 243).
2.
Die Fünf-Jahres-Frist des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG begann hinsichtlich der Verurteilung vom 16.03.2000 nicht mit dem Erlass dieses Urteils, sondern, da eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet worden war, erst mit der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (§ 29 Abs. 5 Satz 1 StVG). Eine neue Fahrerlaubnis ist dem Angeklagten, wie sich aus S. 13 des Berufungsurteils ergibt, am 13.12.2001 erteilt worden, so dass die Vorahndung vom 16.03.2000 - ebenso wie jene vom 30.09.1994 - im alleinmaßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht mehr zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden durfte.
3.
Bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen handelt es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um Verfahrensrecht, sondern um eine Regelung des sachlichen Rechts (vgl. für das Verwertungsverbot nach dem BZRG BGH St 24...