Entscheidungsstichwort (Thema)
Dem Anfall einer "Einigungsgebühr" in Kindschaftssachen steht nicht unbedingt entgegen, dass eine Vereinbarung nur eine "vorläufige" Regelung beinhaltet; auch eine sog. "Zwischeneinigung" kann im Einzelfall gebührenrechtlich relevant sein.
Normenkette
VV-RVG Nr. 1000 Ziff. 1 Abs. 5 S. 3, Nr. 1003 Abs. 2
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 538 F 7383/21) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnervertreterin wird der Beschluss vom 04.11.2022 aufgehoben.
II. Die Vergütung der Antragsgegnervertreterin wird über den in dem Festsetzungsbeschluss vom 24.03.2022 enthaltenen Betrag hinaus auf weitere EUR 330,82 festgesetzt.
Gründe
I. Mit Schreiben vom 17.07.2021 hat der Vater des gemeinsamen Kindes der Parteien das geteilte Sorge- und Umgangsrecht in der Form zu regeln beantragt, dass jedes zweite Wochenende ein Umgang mit Übernachtung, ferner einmal jährlich ein gemeinsamer Urlaub ermöglicht wird und generell ein Mitspracherecht hinsichtlich der elterlichen Sorge bestehen soll.
Das Amtsgericht legte hierauf ein Umgangs- sowie ein Verfahren betreffend die elterliche Sorge an. Der Antragsgegnerin wurde antragsgemäß Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
In dem gemeinsamen Termin (Sorge und Umgang) vom 14.10.2021 schlossen die Parteien nach Einführung der Angaben des Kindes sowie Erörterung der Sach- und Rechtslage eine aus sechs Punkten bestehende Vereinbarung: Dem Vater wurde darin u.a. das Recht und die Pflicht zu einem begleiteten Umgang eingeräumt und als Voraussetzung hierfür ein negativer Drogentest festgelegt, ferner verpflichteten sich die Parteien, eine Elternberatung mit dem Ziel einer Abstimmung der Einzelheiten des Umgangs wahrzunehmen.
In Ziffer 4. der Vereinbarung nimmt der Kindsvater den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge auf beide Elternteile "vorerst" zurück. Weitere Regelungen betreffen die Kosten des Verfahrens bzw. die Information des Jugendamts.
Dem Antrag der Mutter auf Erstreckung der Vkh auf diese Vereinbarung gab das Gericht mit Beschluss vom 27.10.2021 statt. Auf Bitte der Antragsgegnerin um Billigung des Vergleichs vom 14.10.2021 teilte das Gericht mit, eine solche sei nicht möglich, da dieser einen vollstreckbaren Inhalt nicht aufweise.
Die Urkundsbeamtin setzte die Vkh-Vergütung für die Antragsgegnervertreterin, ausgehend von dem gerichtlich festgesetzten Verfahrenswert von EUR 4.000,-, zunächst auf EUR 1.181,67 fest, wobei sie auch die beantragte 1,0-Einigungsgebühr für den Vergleich in Höhe von EUR 278,00 netto berücksichtigte. Hiergegen erhob die Bezirksrevisorin Erinnerung mit der Begründung, die Einigungsgebühr sei nicht angefallen, da das streitige Rechtsverhältnis nicht endgültig geregelt worden sei; der Antragsteller habe seinen Antrag nur "vorerst" zurückgenommen, weshalb ein erneuter Sorgerechtsantrag jederzeit möglich sei. Es fehle daher an einer Erledigung, da auch keine Vereinbarung dahin getroffen worden sei, dass es etwa beim bisherigen Sorgerecht verbleibt. Dies gelte auch für die Frage des Umgangsrechts. Mit Beschluss vom 24.03.2022 setzte die Urkundsbeamtin hierauf die Einigungsgebühr mit der Begründung ab, in der Vereinbarung einer "vorläufigen Rücknahme" liege keine Einigung im Sinne von Nr. 1000 VV-RVG.
Dagegen erhob die Antragsgegnervertreterin "Beschwerde", mit der sie geltend macht, auch wenn der Antrag des Vaters nur "vorerst" zurückgenommen worden sei, sei hierdurch eine richterliche Entscheidung entbehrlich geworden. Es komme auf diesen Zusatz nicht an, da auch im Falle der vorläufigen Rücknahme für eine Neuregelung der elterlichen Sorge ein erneuter Antrag zu stellen sei. Umgekehrt könne auch bei einer Rücknahme, die nicht nur "vorläufig" erfolge, jederzeit ein neuer Antrag gestellt werden. Der Einigungsgebühr stehe auch nicht entgegen, dass der vor Verfahrensbeginn bestehende Zustand fortgelte. Die Familienrichterin legte diese Beschwerde als Erinnerung aus und wies sie mit Beschluss vom 04.11.2022 zurück: Durch die Rücknahme des Antrags auf Übertragung des Sorgerechts sei diesbezüglich keine Regelung getroffen worden, es fehle an einer "Erledigung". Die Einigungsgebühr werde grundsätzlich nur dann ausgelöst, wenn eine endgültige Regelung des Rechtsverhältnisses erreicht werde, was hier nicht der Fall sei.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnervertreterin, zu deren Begründung sie die bereits wiedergegebenen Argumente anführt. Es spiele keine Rolle, ob der Antrag "vorläufig" zurückgenommen worden sei oder nicht, da in jedem Falle stets ein erneuter Antrag gestellt werden könne.
II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3, 4 RVG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg; zumal mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck lässt sich die Entstehung einer Einigungsgebühr für die vorliegende Vereinbarung unter Verweis auf den Begriff "vorläufig" nicht verneinen.
1. Die gesetzlichen Vorgaben für die Entstehung einer Einigungsgebühr sind zum Teil unklar bzw. unvollständig:
Nr. 1000 Abs. 5 Satz 3 VV-RVG sieht die Entst...