Entscheidungsstichwort (Thema)
Betäubungsmittelstrafrecht: Fehler bei der Beweiswürdigung, Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von Heroin. Betäubungsmittelstrafrecht: Fehlerhafte Beweiswürdigung durch Verwertung des Akteninhalts. Fehlende Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von Heroin
Leitsatz (redaktionell)
1. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht den Tatnachweis nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft, sondern seine Erkenntnis auf unzulässige Weise, nämlich durch Verwertung des Inhalts der vorgehaltenen Aussage - wofür insbesondere auch deren wörtliches Zitat in den Urteilsgründen spricht - gewonnen hat, verstößt dies gegen § 261 StPO.
2. a) Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend sicher feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung des Betäubungsmittels durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes “im Zweifel für den Angeklagten„ feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist.
b) Will der Tatrichter der Verurteilung zugrunde legen, dass sogenanntes Straßenheroin erfahrungsgemäß nur einen Heroinhydrochloridanteil von lediglich 5 % aufweist, hat er jedenfalls darzulegen, worauf seine Erfahrungen beruhen und warum diese auf den vorliegenden Einzelfall anzuwenden sind. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass Heroin mit einem bestimmten Wirkstoffgehalt gehandelt wird, gibt es nämlich nicht.
Verfahrensgang
AG Augsburg (Urteil vom 06.11.2007) |
Tenor
I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 6. November 2007 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten der Revision - an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Augsburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Augsburg verurteilte die Angeklagte am 6.11.2007 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 20 EUR.
Gegenstand der Verurteilung der Angeklagten ist die kostenlose Übernahme von je einer Plombe Heroin à 0,1 bis 0,2 Gramm in zwei Fällen in der Zeit vom 1.10.2006 bis 15.11.2006 von ihrem Sohn, dem anderweitig Verfolgten Wolfgang E, zum späteren Konsum.
Die die Tatvorwürfe bestreitende Angeklagte sah das Amtsgericht aufgrund der glaubhaften Aussage der unvereidigt gebliebenen Zeugin Sarah S als überführt und führte dazu aus (Urteil des Amtsgerichts S. 4):
Diese gab zunächst an, sie wisse nicht mehr, ob die Angeklagte von ihrem Sohn etwas bekommen habe. Dies sei zu lange her. Auch auf Vorhalt ihrer polizeilichen Aussage, Bl.15 d.A., wo die Zeugin angab “in zwei Fällen habe ich gesehen, dass Wolfgang seiner Mutter eine Kleinmenge an Heroin für deren Konsum mit nach Hause gab„ erklärte die Zeugin zunächst, sie könne sich nicht mehr genau daran erinnern, was sie bei der Polizei gesagt habe. Normalerweise stimme aber schon, was sie sage. Damals sei ihre Aussage korrekt gewesen. Auf Fragen des Verteidigers erklärte die Zeugin, es sei schon ungewöhnlich, dass ein Sohn seiner Mutter Betäubungsmittel abgebe, dies sei jedoch seine Entscheidung gewesen, was er mache. An ihre polizeiliche Vernehmung an sich könne sie sich noch erinnern. Über wie viele Leute sie im Rahmen dieser polizeilichen Vernehmung ausgesagt habe, wisse sie zwar nicht mehr, was sie aber über die anderen ausgesagt habe, sie auch alles richtig.
Diese Aussage würdigte das Amtsgericht wie folgt (Urteil des Amtsgerichts S. 4):
Die Aussage der Zeugin Sarah S erschien dem Gericht völlig glaubwürdig. Sie machte ihre Aussage ruhig und ohne jeglichen Belastungseifer. Für das Gericht waren keine Gründe dafür zu erkennen, warum die Zeugin die Angeklagte zu Unrecht belasten sollte.
Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der (Sprung-) Revision, mit der sie geltend macht, die Beweiswürdigung des Amtsgerichts halte einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand; es sei nicht ausschließbar, dass das Amtsgericht den Inhalt der Aussage der Zeugin S vor der Polizei und nicht deren Bekundungen aufgrund des Vorhalts dieser Aussage in der Hauptverhandlung zur Überführung herangezogen habe.
II.
Die statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO, § 312 StPO) und im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision der Angeklagten hat mit der erhobenen Sachrüge zumindest vorläufig Erfolg, da die Beweiswürdigung des Amtsgericht rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
1. Für die revisionsrechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung und für die Anforderungen an letztgenannte gilt, wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 23.10.2007, 4 St RR 181/07, ausgeführt hat, Folgendes:
“a) Das Revisionsgericht kann die Überzeugungsbildung des Tatrichters nur in begrenztem Umfang nachprüfen. Sie ist für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Insbesondere ist...