Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweigerung der Zusage zu einer Behandlung in einer sog. gemischten Anstalt
Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenversicherung hat keinen Anspruch auf die Zusage des Versicherers zur Behandlung in einer sog. gemischten Anstalt, da es sich insoweit gem. § 4 Abs. 5 MB/KK 2009 um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. OLG Koblenz BeckRS 2004, 12023). (Rn. 8)
2. Ein Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn die Entscheidung offenkundig gegen Sinn und Zweck der versicherungsvertraglichen Bestimmung verstößt (hier verneint). (Rn. 18)
3. Die Bestimmung des § 4 Abs. 5 MB/KK 2009 ist wirksam (Bestätigung von OLG München BeckRS 2021, 63305; Anschluss an OLG Frankfurt a. M. BeckRS 1997, 15812; BeckRS 2006, 9735; OLG Hamm BeckRS 2012, 7610; vgl. auch BGH BeckRS 2003, 1924; s. dagegen zur Krankentagegeldversicherung OLG Oldenburg BeckRS 1997, 7501; OLG Köln r+s 1990, 213 = BeckRS 1990, 117029). (Rn. 7)
4. Auch dann, wenn der Versicherer die Zusage zur Behandlung in einer gemischten Anstalt mit der Begründung verweigert, es fehle an der medizinischen Notwendigkeit der in Aussicht genommenen Behandlung und ergänzend erklärt, die Zusage werde "selbstverständlich dann erteilt, wenn die medizinische Notwendigkeit ... zweifelsfrei nachgewiesen ist", kann die im nachfolgenden Rechtsstreit erfolgte Ablehnung der Kostenerstattung unabhängig von einer medizinischen Notwendigkeit für die Behandlung in der gemischten Anstalt unter Berufung auf § 4 Abs. 5 MB/KK 2009 nicht ohne Weiteres als ein mit § 242 BGB unvereinbares widersprüchliches Verhalten gewertet werden. (Rn. 12)
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242, 311 Abs. 1, §§ 780-781; MB/KK 2009 § 4 Abs. 5; VVG § 192 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 12.10.2022; Aktenzeichen 23 O 2623/22) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.10.2022, Az. 23 O 2623/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
I. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Die Klägerin hat keinen Rechtsanspruch auf Versicherungsschutz für eine Behandlung ihrer Tochter in der Klinik am W.
1. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus dem Versicherungsvertrag. § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 der vorliegend vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (fortan aus Vereinfachungsgründen: AVB) schränkt die Leistungspflicht der Beklagten dahingehend ein, dass ein Anspruch auf Erstattung von Kosten für medizinisch notwendige Heilbehandlungen in sogenannten "gemischten Krankenanstalten" nur dann besteht, wenn die Beklagte vor Beginn der Behandlung Erstattungen schriftlich zusagt.
1.1. Vorliegend handelt es sich bei der Klinik am W. unstreitig um eine gemischte Krankenanstalt. Die Beklagte hat eine Kostenerstattung nicht schriftlich zugesagt; sie hat sie vielmehr schriftlich abgelehnt.
1.2. Durch das Schreiben der Beklagten vom 03.01.2022 wurde der Versicherungsvertrag nicht dahingehend geändert, dass der Beklagten kein Ermessen mehr zustände.
Nach den für solche Individualerklärungen maßgeblichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) ist zwischen den Parteien kein Änderungsvertrag im Sinne von § 311 Abs. 1 BGB zustande gekommen, der den von der Beklagten geschuldeten Versicherungsschutz auf die streitgegenständliche Behandlung im W. erweitert hätte. Schon die Anfrage seitens der Klägerin zielt nicht auf eine Vertragsänderung, sondern auf eine Zusage nach den vereinbarten Bedingungen ab. Dementsprechend geht auch aus dem Wortlaut der Antwort vom 03.01.2022 unverkennbar hervor, dass keine Änderung des Vertrags vereinbart werden sollte: Denn dazu bestand nach Lage der Dinge keinerlei Anlass.
1.3. § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 AVB ist wirksam (zu § 4 Abs. 5 MB/KK: Senat, Urteil vom 10.08.2021 - Az. 25 U 2785/20; Senat - Beschluss vom 04.09.2018 - Az. 25 U 1802/18; OLG Frankfurt, OLGR 1998, 116; r+s 2007, 68 mwN; OLG Hamm, VersR 2012, 1290; Bach/Moser/Kalis, PKV, 5. Aufl., § 4 MB/KK Rn. 160; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 257/01, r+s 2003, 204, 205; Rüffer|Halbach|Schimikowski, VersicherungsvertragsgesetzHK-VVG/Jens Rogler, 4. Aufl. 2020, MB/KK 2009 § 4 Rn. 13).
1.4. Der Beklagten steht ein Ermessen zu, die Zusage gem. § 4 Teil I Abs. 5 Satz 1 AVB zu erteilen oder nicht. Vorliegend hat sie sich dagegen entschieden; zutreffend hat das Landgericht einen Ermessensmißbrauch nicht angenommen und Fallgruppen aufgezeigt, die zu einer Einschränkung des Ermessens führen, die hier aber allesamt nicht vorliegen (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 14. 10. 2004 - 10 W 659/0, r + s 2006, 27, Leitsatz 1 sowie Gründe II 1a: Ein Anspruch auf eine mehrwöchige stationäre psychotherapeutische Heilbehan...