Leitsatz (amtlich)
Der nicht geheilte Verstoß gegen die Pflicht zur Ladung des Verteidigers begründet die Revision des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung.
Tatbestand
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Die Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht durch Urteil vom 22.7.2005. Seine Revision stützt der Angeklagte auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die zulässige Revision hatte Erfolg, da der absolute Revisionsgrund der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung vorliegt (§ 338 Nr. 8 StPO).
Entscheidungsgründe
1.
Die Zurückweisung des Antrags des Angeklagten auf Aussetzung der Verhandlung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da eine ordnungsgemäße Ladung des Verteidigers zur Berufungshauptverhandlung am 22.7.2005 nicht vorliegt.
a)
Mit Verfügung vom 24.5.2005 bestimmte der Vorsitzende der Strafkammer Termin zur mündlichen Verhandlung auf 22.7.2005. Gleichzeitig entband er den Verteidiger von der Pflichtverteidigung, da der Angeklagte am 16.3.2005 aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Mit Schriftsatz vom 1.6.2005 zeigte sich derselbe Verteidiger unter Vorlage einer Vollmacht als Wahlverteidiger an. Mit Verfügung vom 6.6.2005 ordnete der Vorsitzende an, dass dem Verteidiger auf dessen schriftsätzliche Anfrage vom 1.6.2005 die Besetzung des Gerichts mitgeteilt wird. Mit Beschluss vom 28.6.2005 lehnte der Vorsitzende den handschriftlichen Antrag des Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Berufungshauptverhandlung ab und gewährte gleichzeitig dem (Wahl-)Verteidiger auf dessen Anforderung Akteineinsicht; die Strafakten gab dieser sodann am 8.7.2005 zusammen mit der Mitteilung "Akte eingesehen" zurück.
Mit Beschluss vom 22.7.2005 lehnte das Landgericht in der Berufungshauptverhandlung den vor Vernehmung des Angeklagten zur Sache gestellten Antrag des Verteidigers auf Aussetzung der Verhandlung ab mit der Begründung, dass der nunmehrige Wahlverteidiger die Verteidigung nicht angezeigt habe und deshalb eine Ladung nicht erforderlich gewesen sei; im Übrigen habe der hier anwesende Verteidiger Akteneinsicht nach Anberaumung des Verhandlungstermins genommen, so dass ihm der Termin zur Berufungshauptverhandlung rechtzeitig bekannt gewesen sei, was auch durch seine heutige Anwesenheit bestätigt werde.
b)
Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Grundsätzlich begründet der nicht geheilte Verstoß gegen die Pflicht zur Ladung des Verteidigers bereits die Revision (Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 218 Rn. 15). Kein Ersatz für die förmliche Ladung ist auch eine aktenkundig gemachte Kenntnis des Verteidigers vom Termin (vgl. Meyer-Goßner aaO Rn. 8 m.w.N.). Noch weniger genügt es, dass der Verteidiger auf andere Weise vom Termin erfahren hat, in dem er beispielsweise die Akten eingesehen hat und daher rechtzeitig von dem Termin Kenntnis nehmen konnte (Meyer-Goßner aaO).
Da ein Ladungsnachweis nicht vorliegt, kann das Vorbringen des Verteidigers nicht widerlegt werden, er habe von dem Hauptverhandlungstermin am 22.7.2005 weder im Rahmen der Akteneinsicht noch durch die Mitteilung über die Besetzung des Gerichts, die weder Uhrzeit noch Ort der Verhandlung enthält, Kenntnis genommen.
Das Fehlen einer förmlichen Ladung kann dann unschädlich sein, wenn der Verteidiger auf andere Weise rechtzeitig vom Hauptverhandlungstermin zuverlässig Kenntnis erlangt hat; die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt jedoch nicht (BGHSt 36, 259/261; BGH NStZ 1985, 229).
Somit liegt nicht nur ein Verstoß gegen § 218 Satz 1 StPO vor, sondern auch eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung (vgl. BayObLGSt 1980, 35). Wenn aber nicht die sichere Kenntnis, sondern nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Termin der Hauptverhandlung gegeben ist, wie hier im Rahmen der Akteneinsicht, beruht das Urteil auf dem Verfahrensverstoß (LR/Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 218 Rn. 14). Ob das Gericht die Nichtladung verschuldet hat, ist unerheblich (LR/Gollwitzer aaO Rn. 30).
2.
Wegen des aufgezeigten Mangels war das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 337, 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 2580938 |
NJW 2006, 1366 |
NStZ 2006, 590 |
StV 2007, 291 |