Leitsatz (amtlich)
Solange in einem laufenden Ermittlungsverfahren ein bestehender Ergreifungshaftbefehl gegen den untergetauchten Beschuldigten noch nicht vollstreckt ist, hat der Verteidiger weder einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht, noch auf Mitteilung des Haftbefehls.
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 15.07.2008; Aktenzeichen 2 Qs 57/08) |
Tenor
Die weitere Beschwerde des Beschuldigten H. E. gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 15. Juli 2008 wird als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Gegen den Beschuldigten besteht wegen vielfachen Betrugs ein auf den Haftgrund der Flucht gestützter Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 27.03.2008, der bislang noch nicht vollstreckt ist, weil der Beschuldigte untergetaucht und unbekannten Aufenthalts ist. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind noch nicht abgeschlossen. Mit Schriftsatz vom 26.06.2008 legte der Verteidiger gegen den Haftbefehl Beschwerde ein und beantragte zur Vorbereitung der Beschwerdebegründung Akteneinsicht zumindest in diejenigen Aktenteile, die den dringenden Tatverdacht begründen sollen. Mit Verfügung vom 03.07.2008 lehnte die Staatsanwaltschaft die Gewährung von Akteneinsicht unter Hinweis auf die Gefährdung der Ermittlungen nach 5 147 Abs. 2 StPO ab und verwies darauf, dass die in Haftsachen zu machenden Ausnahmen von diesem Grundsatz nach der Rechtsprechung nur für Fälle gelte, in denen die Haft bereits vollzogen werde. Mit Schriftsatz vom selben Tag machte der Verteidiger daraufhin ergänzend auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.07.2008 hat das Landgericht die Beschwerde als unbegründet verworfen. Es bestehe sowohl dringender Tatverdacht als auch der Haftgrund der Flucht bzw. - nach Ergreifung - der Fluchtgefahr. Auch die Verweigerung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft könne nicht zur Aufhebung des Haftbefehls fuhren, denn die Voraussetzungen des 5 147 Abs. 2 StPO lägen vor. Das weitergehende Akteneinsichtsrecht gelte erst ab der Festnahme und nicht bereits im Falle eines noch nicht vollzogenen Haftbefehls. Hiergegen legte der Beschuldigte mit Verteidigerschriftsatz vom 01.08.2008 weitere Beschwerde ein. Ohne Kenntnis wenigstens derjenigen Aktenteile, die den dringenden Tatverdacht tragen sollen, sei eine Verteidigung gegen den Haftbefehl unmöglich. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf eine effektive Verteidigung werde in verfassungswidriger Weise beschnitten. Man müsse sich nicht erst einsperren lassen, bevor man sich verteidigen dürfe.
Die weitere Beschwerde ist nach 5 310 Abs. 1 StPO zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
Die vorliegenden Zeugenaussagen sowie die Ergebnisse der sonstigen Ermittlungen rechtfertigen auch nach Auffassung des Senats den in dem Haftbefehl angenommenen dringenden Tatverdacht. Darüber hinaus hat das Amtsgericht zu Recht auch den Haftgrund der Flucht nach 5 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO angenommen, weil der Beschuldigte sich an seinem früheren Wohnsitz nicht mehr aufhält und er auch sonst trotz polizeilicher Ermittlungen nicht mehr auffindbar ist.
Auch verfahrensrechtliche Einwände stehen dem Fortbestand des Haftbefehls nicht entgegen.
Insbesondere bedeutet die seitens der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf 5 147 Abs. 2 StPO uneingeschränkt verweigerte Akteneinsicht unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (BVerfG NStZ-RR 1998, 108) weder eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG noch des Anspruchs auf Gewährleistung einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4,20 Abs. 3 GG.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 1 1.07.1994 entschieden, dass aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör der Anspruch des inhaftierten Beschuldigten auf Einsicht seines Verteidigers in die Akte folgt, wenn und soweit er die darin befindlichen Informationen benötigt, um auf die gerichtliche Entscheidung effektiv einwirken zu können und eine mündliche Mitteilung der Tatsachen und Beweismittel, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt, nicht ausreichend ist (BVerfG NStZ 1994, 551). Dies gilt jedoch nach einer späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ-RR 1998, 108) dann nicht, wenn ein Haftbefehl - wie hier - zwar erlassen, aber nicht vollzogen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, ein vorläufig gegenüber dem Beschuldigten abgeschirmtes Ermittlungswissen der Strafverfolgungsbehörden sei wegen des Auftrags des Strafverfahrens, den Sachverhalt zu erforschen und die Wahrheit zu finden, verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar beschwere auch der bloße Erlass eines Haftbefehls gegen einen flüchtigen Beschuldigten. Seinem Informationsinteresse werde jedoch durch die Regelung der Strafprozessordnung - insbesondere zur richterlichen Vernehmung - ausreichend Rechnu...