Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründete Richterablehnung wegen Versagung einer Terminsverlegung bei Krankenhausaufenthalt des Verteidigers

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus der Sicht eines verständigen Angeklagten ist das Festhalten an einem Termin, bei dem er erkennbar trotz Ladung von vier Zeugen ohne Verteidiger sein wird, geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters zu begründen.

 

Verfahrensgang

AG Kempten (Urteil vom 30.01.2006)

LG Kempten (Urteil vom 22.09.2006)

 

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 22. September 2006 samt den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Kempten (Allgäu) verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln am 30.1.2006 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten.

Die Berufung des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil verwarf das Landgericht Kempten (Allgäu) mit Urteil vom 22.9.2006.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Mit der Verfahrensrüge macht er geltend, an der Urteilsfindung habe ein Richter mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden war. An dem für den 21.6.2006 festgesetzten Termin zur Berufungshauptverhandlung habe sein Wahlverteidiger auf Grund eines stationären Krankenhausaufenthaltes wegen einer Operation nicht teilnehmen können.

Über einen Antrag seines Verteidigers vom 16.6.2006 auf Verlegung des Termins habe der Vorsitzende der Strafkammer bis zum 21.6.2006 nicht entschieden. Auf telephonische Nachfrage seines Verteidigers am 21.6.2006 habe die Geschäftsstelle des Vorsitzenden Richters von diesem ausgerichtet, der Termin bleibe bestehen, er werde sich mal alles anhören und dann weitersehen. Mit anwaltlichem Telefax vom 21.6.2006 habe er den Vorsitzenden Richter daraufhin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Diesen Antrag habe das Landgericht Kempten (Allgäu) mit Beschluss vom 22.6.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Durch dieses prozessuale Verhalten habe der abgelehnte Richter ihn “genötigt„, sich ohne seinen Anwalt zu verteidigen; das Erscheinen zum Termin und die Beantwortung der zu erwartenden Fragen, ob er sich verteidigen wolle und wenn ja, mit oder ohne Anwalt, gehöre zur Verteidigung. Der abgelehnte Richter habe damit in das grundrechtlich geschützte Recht eines jeden Angeklagten, sich von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, eingegriffen; dies begründe die Besorgnis der Befangenheit.

Mit der Sachrüge macht der Angeklagte geltend, das Landgericht habe zu Unrecht davon abgesehen, den Wirkstoffgehalt der gegenständlichen LSD-Trips genau zu bestimmen. Die Aussage der Zeugin W habe das Landgericht entweder nicht richtig gelesen oder sein Recht auf freie Beweiswürdigung willkürlich ausgeübt und dadurch gegen § 261 StPO verstoßen.

II.

Die statthafte (§ 333 StPO) und auch sonst zulässige (§ 341 Abs. 1 StPO, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat mit der erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, so dass über die Sachrüge nicht mehr zu befinden war.

Bei einer zulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 338 Ziff. 3 StPO, wie im vorliegenden Fall, prüft das Revisionsgericht die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerdegrundsätzen. An die Feststellungen und Erwägungen des die Ablehnung verwerfenden Beschlusses des Landgerichts ist es nicht gebunden (BGHSt 18, 201/203; BayObLGSt 2001, 111/112).

Das Ablehnungsgesuch vom 21.6.2006 ist begründet, weil die vorgetragenen Tatsachen die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen und damit das Gesuch mit Beschluss des Landgerichts vom 22.6.2006 mit Unrecht verworfen wurde.

a) Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 1 und Abs. 2 StPO).

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen. Dabei kommt es jedoch nicht auf dessen subjektive Sicht, sondern auf den Standpunkt eines verständigen Angeklagten an.

Das Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende unter Zugrundelegung des genannten Standpunkts bei Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

b) Wird, wie im vorliegenden Fall, die Ablehnung auf ein prozessuales Verhalten des Richters gestützt, so kann ein solches Verhalten, solange sich der Richter im Rahmen seiner Befugnisse hält, nicht Gegenstand eines Misstrauens ihm gegenüber sein. Verfahrensverstöße alle...

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