Leitsatz (amtlich)
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt (im Anschluss an EuGH vom 12.5.2016, Rechtssache C-281/15, und Senat vom 2.6.2015, 34 Wx 146/14):
1. Ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom III-Verordnung) vom 20.12.2010 (ABl EU Nr. L 343 Seite 10) auch für Fälle der Privatscheidung - hier: durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund der Scharia - eröffnet?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Ist bei Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-Verordnung) deren Art. 10 in Fällen der Privatscheidung
(1) abstrakt auf einen Vergleich abzustellen, wonach das gemäß Art. 8 anzuwendende Recht einen Zugang zur Ehescheidung zwar auch dem anderen Ehegatten gewährt, diese aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit aber an andere verfahrensrechtliche und materielle Voraussetzungen knüpft wie an den Zugang des einen Ehegatten,
oder
(2) das Eingreifen der Norm davon abhängig, dass die Anwendung des abstrakt diskriminierenden ausländischen Rechts auch im Einzelfall - konkret - diskriminiert?
3. Falls die Frage 2 (2) bejaht wird: Ist ein Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung - auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen - bereits ein Grund, die Norm nicht anzuwenden?
Normenkette
AEUV Art. 267; ROM III-VO Art. 1, 10; FamFG § 107
Tenor
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom III-Verordnung) vom 20.12.2010 (ABl EU Nr. L 343 Seite 10) auch für Fälle der Privatscheidung - hier: durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund der Scharia - eröffnet?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist bei Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-Verordnung) deren Art. 10 in Fällen der Privatscheidung
(1) abstrakt auf einen Vergleich abzustellen, wonach das gemäß Art. 8 anzuwendende Recht einen Zugang zur Ehescheidung zwar auch dem anderen Ehegatten gewährt, diese aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit aber an andere verfahrensrechtliche und materielle Voraussetzungen knüpft wie an den Zugang des einen Ehegatten,
oder
(2) das Eingreifen der Norm davon abhängig, dass die Anwendung des abstrakt diskriminierenden ausländischen Rechts auch im Einzelfall - konkret - diskriminiert?
3. Falls die Frage 2 (2) bejaht wird:
Ist ein Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung - auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen - bereits ein Grund, die Norm nicht anzuwenden?
Gründe
I. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildet die gerichtliche Entscheidung über die Anerkennung einer in der Arabischen Republik Syrien ausgesprochenen und dort von einem religiösen Gericht bestätigten Scheidung von Eheleuten in der Bundesrepublik Deutschland, deren Voraussetzungen der Präsident des Oberlandesgerichts München mit Verwaltungsentscheidung vom 5.11.2013 als gegeben festgestellt hat.
1. Die Beteiligten schlossen am 27.5.1999 im Bezirk des islamrechtlichen Gerichts in Homs (Arabische Republik Syrien) die Ehe.
Der Ehemann, der Beteiligte zu 1, war seit Geburt syrischer Staatsangehöriger. Im Jahr 1977 wurde er in der Bundesrepublik Deutschland eingebürgert. Seitdem besitzt er beide Staatsangehörigkeiten. Seit Geburt ist die Ehefrau und Beteiligte zu 2 syrische Staatsangehörige. Nach der Eheschließung erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Eheleute lebten bis zum Jahr 2003 im Inland und verzogen anschließend nach Homs (Arabische Republik Syrien). Wegen des dortigen Bürgerkriegs begaben sie sich im Sommer 2011 erneut kurzzeitig nach Deutschland, lebten aber ab Februar 2012 abwechselnd im Emirat Kuwait und in der Libanesischen Republik; während dieses Zeitraums hielten sie sich wiederholt auch in der Arabischen Republik Syrien auf. Aktuell leben beide Parteien mit unterschiedlichen Wohnsitzen wieder in der Bundesrepublik Deutschland.
2. Der Ehemann erklärte am 19.5.2013 die Scheidung seiner Ehe, indem sein Bevollmächtigter vor dem geistlichen Scharia-Gericht in Latakia (Arabische Republik Syrien) die Scheidungsformel aussprach. Das Gericht stellte am 20.5.2013 in dem Beschluss Nr. 1276 die Ehescheidung fest.
Im Laufe der gesetzlichen Wartefrist kam es nicht zu einer Wiederverheiratung. Am 12.9.2013 gab die Ehefrau eine eigenhändig unterzeichnete Erklärung über den Empfang von nach religiösen Vorschriften zustehenden Leistungen, nämlich insgesamt 20.000 US-Dollar, mit folgendem Wortlaut ab:
... Ich habe alle mir aus...