Leitsatz (amtlich)
1. Unterbreitet der Aufsichtsrat der Hauptversammlung einen Beschlussvorschlag, der inhaltlich im Widerspruch zu den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) steht, denen er sich durch veröffentlichte Erklärungen uneingeschränkt unterworfen hatte, so ist er verpflichtet die geänderte Absicht auch unterjährig, zumindest gleichzeitig mit dem Beschlussvorschlag bekannt zu machen. Dies gebietet der Vertrauensschutz der Aktionäre.
2. Ein Verstoß hiergegen verletzt die Vorschrift des § 161 AktG, begründet die Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses und die Anfechtbarkeit des auf dieser Grundlage gefassten Beschlusses der Hauptversammlung.
3. Ziff. 5.4.1. des DCGK ist nicht verletzt, wenn der Aufsichtsrat bestimmt, dass für seine Mitglieder in der Regel eine Altersgrenze von 70 Jahren gelten solle.
Normenkette
AktG §§ 161, 243, 251; Deutscher Corporate Governance Kodex
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 22.11.2007; Aktenzeichen 5 HKO 10614/07) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Zwischen- und Schlussurteil des LG München I vom 22.11.2007, Az: 5 HK O 10614/07, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten vom 10.5.2007 über die Wahl von Dr. F. P. und S. Sch. zu Mitgliedern des Aufsichtsrats.
Die Beklagte ist die Dachgesellschaft eines großen deutschen Industriekonzerns, dessen Kernbereich in der Produktion von Nutzfahrzeugen liegt, und gehört zu den DAX-notierten Aktiengesellschaften.
Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten gaben im Dezember 2006 hinsichtlich der Empfehlungen der Regierungskommission "Deutscher Corporate Governance Kodex" eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ab (Anlage K 2). Bereits am 12.12.2002 hatte der Aufsichtsrat der Beklagten den Beschluss gefasst, dass in Zukunft für die Mitglieder des Aufsichtsrates in der Regel eine Altersgrenze von 70 Jahren gelten sollte (Anlage B 2).
Am 26.3.2007 machte die Beklagte die Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung vom 10.5.2007 im elektronischen Bundesanzeiger bekannt. Sie enthielt zu Tagesordnungspunkt 5 die Neuwahl sämtlicher Vertreter der Aktionäre im Aufsichtsrat; der Wahlvorschlag enthielt neben dem am 17.4.1937 geborenen Dr. F. P., dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates der V. AG, Herrn S. Sch., dem Chef des Bereichs "Nutzfahrzeuge" der V. AG, und Herrn R. S., dem Vorstandsvorsitzenden der A. AG. Der Kläger stellte mit Schreiben vom 25.4.2007 (Anlage K 1) an die Beklagte einen förmlichen "Gegenantrag zu TOP 5/Neuwahl des Aufsichtsrats" mit dem Inhalt, dass die Herren Dr. P., Sch. und S. nicht zu Aufsichtsräten der Beklagten gewählt werden.
Im Vorfeld der Hauptversammlung hatte sich angesichts der angestrebten Kandidatur für den Aufsichtsrat der Beklagten der Vorsitzende des Aufsichtsrats der V. AG, Dr. F. P., mit Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der Beklagten getroffen. Hierüber wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.3.2007 (Anlage K 4) berichtet. Danach habe Dr. P. den Belegschaftsvertretern versprochen, der Münchner Nutzfahrzeug- und Maschinenbaukonzern werde nicht zerschlagen und die Mitbestimmung der Beschäftigten nicht angetastet. Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats der Beklagten, L. Po., wird in der Zeitung dahingehend zitiert, dass er diese Zusage schriftlich erhalten habe.
Am 10.5.2007 fand die Hauptversammlung der Beklagten statt, an der für den Kläger dessen Vorstandsmitglied H. Pe. teilnahm. In der Hauptversammlung der Beklagten wurde von Seiten der Aktionäre u.a. nach Kontakten der aus der Volkswagen AG stammenden Kandidaten Dr. P. und Sch. zu den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der Beklagten gefragt. Der Versammlungsleiter und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Beklagten, Prof. Dr. Sc., bestätigte ein Treffen, verneinte jedoch irgendwelche Vereinbarungen und erklärte, dass diese auch unwirksam wären. Im weiteren Verlauf der Diskussion wurden unter Bezugnahme auf den Artikel in der FAZ von Seiten der Aktionäre weitere Fragen gestellt, auf die der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, H. Sa., und der Versammlungsleiter Prof. Dr. Sc. sowie der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats und Vorsitzende des Konzernbetriebsrats der Beklagten, L. Po., antworteten. Übereinstimmend erklärten diese, dass es eine Vereinbarung zwischen den Arbeitnehmervertretern und Herrn Dr. P. nicht gebe. Hinsichtlich der Wortlaute der einzelnen Erklärungen wird auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 26.7.2007 (Bl. 22/34 d.A.) verwiesen.
Die Frage des Vertreters des Klägers, ob man sich im Hinblick auf das Alter des Herrn Dr. P. bewusst nicht an die eige...