Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Feststellungen zum Mindestschuldumfang in Betäubungsmittelverfahren [Heroin]
Leitsatz (redaktionell)
1. Neben der Menge des Rauschgifts, auf die sich die Tat bezieht, spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Insbesondere ist es für den Schuldumfang erheblich, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich in dem verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgemisch befunden haben.
2. Der Tatrichter hat deshalb entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht (mehr) möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung des Betäubungsmittels durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes “Im Zweifel für den Angeklagten„ feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 09.09.2005) |
AG München (Urteil vom 02.05.2005) |
Tenor
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 9. September 2005 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an
eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht München hat den Angeklagten am 2.5.2005 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft - die ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte - und des Angeklagten hat das Landgericht München I das amtsgerichtliche Urteil am 9.9.2005 dahingehend abgeändert, dass die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe von sieben Monaten zur Bewährung ausgesetzt wurde; die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft wurde zurückgewiesen.
Nach den vom Landgericht in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen kaufte und übernahm der Angeklagte am 23.2.2005 von einem unbekannten Rauschgifthändler in München 1,2 g Heroingemisch zum Preis von 110 EUR. Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.
Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts; sie wendet sich gegen die Strafaussetzung zur Bewährung.
II.
Die zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang.
1. Zwar kann die Revision grundsätzlich auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden. Eine solche isolierte Anfechtung des Urteils ist jedoch dann nicht möglich, wenn im Einzelfall ein erkennbarer Zusammenhang zwischen den Erwägungen zur Strafzumessung und zur Strafaussetzung besteht oder wenn - wie vorliegend - die Feststellungen zur Straftat lückenhaft sind und keine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Schuldfeststellungen so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, zu dem insbesondere der Schuldumfang zählt, nicht einmal in groben Zügen erkennen lassen (vgl. BayObLGSt 1999, 99; 2002, 126/127 jeweils m.w.N.).
2. Das Landgericht hat - wie bereits das Amtsgericht - den Schuldumfang nicht ausreichend bestimmt, weil keine Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt des Heroingemischs getroffen worden sind.
Neben der Menge des Rauschgifts, auf die sich die Tat bezieht, spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Insbesondere ist es für den Schuldumfang erheblich, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich im Betäubungsmittelgemisch befunden haben. Der Tatrichter hat deshalb entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes “Im Zweifel für den Angeklagten„ feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist (st. Rspr. des Bayerischen Obersten Landesgerichts - vgl. BayObLGSt 1997, 95/96; 1999, 99/100 -, der sich der Senat angeschlossen hat).
Dies hat das Landgericht nicht berücksichtigt, so dass nicht andeutungsweise feststeht, welche Mindestanzahl an Konsumportionen aus der Rauschgiftmenge hergestellt werden konnte. Damit fehlt es an der erforderlichen Feststellung des Mindestumfangs des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat u...