Leitsatz (amtlich)
Eine Regelung in den AVB einer Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwälte, wonach auch ein angestellter Scheinsozius keinen Deckungsschutz gegen Schadensersatzansprüche von Mandanten wegen Veruntreuungen von echten Sozien haben soll, ist unwirksam.
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 10.10.2007; Aktenzeichen 41 O 708/07) |
Tenor
I. Das Endurteil des LG Ingolstadt vom 10.10.2007 wird abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte im Hinblick auf gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche, welche derzeit beim LG Ingolstadt unter dem Az. 5 O 1918/06 eingeklagt werden, Deckungsschutz zu gewähren hat.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin war im Zeitraum vom 1.8.2000 bis 31.7.2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Rechtsanwältin mit einer Berufshaftpflichtversicherung in Form einer Einzelpolice versichert.
Die Klägerin war in diesem Zeitraum bei einer Sozietät in Ingolstadt tätig.
Im Verfahren 5 O 1918/06 vor dem LG Ingolstadt nimmt ein ehemaliger Mandant die Klägerin als Scheinsozia wegen von den Gesellschaftern der Sozietät unterschlagenen Fremdgeldes i.H.v. 8.025,74 EUR in Anspruch, da sie auf dem Kanzleibriefbogen mit aufgeführt gewesen war. Das Verfahren wurde auf Antrag der Parteien zum Ruhen gebracht.
Im Wege der vorweggenommenen Deckungsklage beantragt die Klägerin Feststellung, dass die Beklagte ihr Deckungsschutz zu gewähren hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LG Ingolstadt vom 10.10.2007 Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO) mit der Maßgabe, dass in dem Versicherungsschein (Anlage B 6) auf die von der Beklagten als Anlage B 8 vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschadenshaftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (mit Risikobeschreibung) - AVB-A der Beklagten (im Folgenden: AVB) verwiesen ist.
Die fraglichen § 12 I 1 und III AVB lauten:
§ 12 I 1: "Als Sozien gelten Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind."
§ 12 III: "Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien."
Das LG Ingolstadt hat durch Urteil vom 10.10.2007 die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Versicherungsbedingungen der Beklagten nach § 5a II VVG in den Versicherungsvertrag einbezogen worden seien und dass damit der Ausschluss für Veruntreuungsschäden auch für die Klägerin als Scheinsozia gelte.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
Sie verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und führt im Wesentlichen aus:
Die "Sozienklausel" in den Versicherungsbedingungen der Beklagten sei überraschend. Zudem fehle die Transparenz. Die Sozienklausel in § 12 I AVB sei nicht eindeutig, soweit sie zur Definition des Begriffs "Sozius" auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach außen abstelle. Eine Zurechnung des Verhaltens der echten Sozien bei freien Mitarbeitern oder Angestellten, auch wenn diese als Scheinsozien auf den Briefkopf erschienen, sei unangemessen. Da ein unabhängiger Versicherungsvertrag bestehe, würde dies auf eine Ausweitung der Repräsentantenhaftung durch allgemeine Versicherungsbedingungen hinauslaufen. Die Klausel sei überraschend und mit dem wesentlichen Grundgedanken der Gesetzesregelung nicht zu vereinbaren. Der Versicherungsschutz könne zudem nicht weiter als nach § 51 BRAO zulässig verkürzt werden.
Die Klägerin hat im Termin vom 27.5.2008 Gehaltsabrechnungen für den Zeitraum von August 2000 bis Juli 2005 eingereicht mit dem Hinweis, dass sich daraus ihre Angestellteneigenschaft ergebe.
Die Klägerin beantragt:
I. Das Endurteil des LG Ingolstadt vom 10.10.2007 wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte im Hinblick auf gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche, welche derzeit beim LG Ingolstadt unter dem Aktenzeichen 5 O 1918/06 eingeklagt werden, Deckungsschutz zu gewähren hat.
Hilfsweise beantragt sie, das Urteil des LG Ingolstadt vom 10.10.2007 aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das LG Ingolstadt zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Vorsorglich beantragt sie, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Nach ihrer Rechtsauffassung wurde der Begriff des Sozius in den Versicherungsbedingungen eindeutig definiert. Die verschuldensunabhängige Haftung von Sozien und Scheinsozien auch für Veruntreuungen dritter Personen sei keine Frage der versicherungsvertraglichen Deckung, sondern ergebe sich aus der Haftpflichtrechtsprechung des BGH. Die Sozienklausel des § 12 I 1 AVB sei unbedingt erforderlich, um den Gleichlauf der Haftung im Außenverhältnis einerseits und der versicherungsvertraglichen Deckung andererseits sicherzustellen. Die ...