Entscheidungsstichwort (Thema)
Hemmung der Verjährung durch "demnächstige" Zustellung: Widersprüchlich ausgefüllte Bescheinigung; nicht übersetzte Klageschrift; Verjährungsfrist und Zustellung
Leitsatz (amtlich)
1. Unvollständig bzw. widersprüchlich ausgefüllte Bescheinigungen über die Zustellung bzw. Nichtzustellung nach Art. 10 EuZustVO erbringen keinen Beweis über eine erfolgte Zustellung.
2. Sind die einer Klageschrift beigefügten Anlagen in keiner der nach Art. 8 Abs. 1 EuZustVO zulässigen Sprache abgefasst und auch nicht in eine dieser Sprachen übersetzt, darf die Annahme der in eine zulässige Sprache übersetzten Klageschrift jedenfalls dann verweigert werden, wenn die Anlagen zum Verständnis der Klageschrift erforderlich sind.
3. Für die Frage, ob eine Zustellung "demnächst" i.S.d. § 167 ZPO erfolgt ist, ist nicht auf den Zeitraum zwischen Klageerhebung und Zustellung, sondern auf denjenigen zwischen Verjährungseintritt und Zustellung abzustellen, da jede Klagepartei die Verjährungsfrist grundsätzlich voll ausschöpfen darf.
4. Ob eine Zustellung "demnächst" erfolgt, beurteilt sich nicht nach einer rein zeitlichen Betrachtungsweise. Vielmehr enthält der Begriff "demnächst" eine zeitliche und eine wertende Komponente. Das bedeutet, dass die Interessen beider Parteien und die seit dem regulären Verjährungseintritt verstrichene Zeit in eine wertende Gesamtbetrachtung des Einzelfalles einzubeziehen sind.
Normenkette
BGB § 199 Abs. 1; ZPO §§ 167, 415, § 415 ff.; EGV 1348/2000 Art. 8 Abs. 1, Art. 10
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 18.01.2010; Aktenzeichen 15 HK O 21301/05) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG München I vom 18.1.2010 (Az.: 15 HK O 21301/05) wird zurückgewiesen.
2. Die außergerichtlichen Kosten des Streithelfers trägt dieser selbst. Die übrigen Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Das angegriffene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Kaufpreisansprüche geltend und legt in diesem Zusammenhang Rechnungen aus dem Zeitraum vom 23.5.2003 bis 13.11.2003 vor, die größtenteils im Jahr 2003, in zwei Fällen erst im Jahr 2004 fällig wurden. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Die vom 2.11.2005 datierende Klage ging am 4.11.2005 beim LG ein. Am 17.11.2005 verfügte der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen die Zustellung der Klage an die Beklagte im Rechtshilfewege. Ein erster Zustellungsversuch im Frühjahr 2006 scheiterte, weil das zuständige Rechtshilfegericht in Ljubljana/Slowenien die Beklagte aufgrund mehrerer ähnlicher Firmen unter der genannten Anschrift nicht hinreichend identifizieren konnte.
Die erneute Zustellung wurde Anfang August 2006 angeordnet. Sie sollte wiederum über das zuständige Rechtshilfegericht in Ljubljana erfolgen. Das Rechtshilfegericht hat die übersandten Unterlagen zurückgesandt. Im Vordruck der Bescheinigung über die Zustellung bzw. Nichtzustellung von Schriftstücken nach Art. 10 der VO (EG) Nr. 1348/2000 finden sich folgende Eintragungen des Rechtshilfegerichts: Unter 12.1. wird als Tag der Zustellung der 19.9.2006 angegeben. Unter 12.2. ist keine der dort vorgegebenen Möglichkeiten für die Art der Zustellung angekreuzt. Angekreuzt ist hingegen Nr. 14. des Vordrucks, wo es heißt: "Der Empfänger verweigerte die Annahme des Schriftstücks aufgrund der verwendeten Sprache ..."
Auf Sachstandsanfrage der damaligen Klägervertreter übersandte der zuständige Rechtspfleger des LG die Klageschrift nebst Anlagen unter dem 31.7.2007 erneut an das Rechtshilfegericht in Ljubljana mit der Bitte um Zustellung. Das Rechtshilfegericht sandte die Unterlagen wiederum zurück. In der Bescheinigung nach Art. 12 der VO (EG) Nr. 1348/2000 finden sich unter 12.1. und 12.2. keine Eintragungen. Angekreuzt sind die Alternativen 12.3. ("Der Empfänger des Schriftstücks wurde mündlich davon in Kenntnis gesetzt, dass er die Entgegennahme des Schriftstücks verweigern kann, wenn es nicht in einer Amtssprache des Orts der Zustellung oder in einer Amtssprache des übermittelnden Staates, die er versteht, abgefasst ist."), 13. ("Die Zustellung konnte nicht binnen einem Monat nach Erhalt des Schriftstücks vorgenommen werden.") und 14. ("Der Empfänger verweigerte die Annahme des Schriftstücks aufgrund der verwendeten Sprache ..."). In einem Begleitschreiben des Rechtshilfegerichts ist ausgeführt, dass zwar die Klageschrift, nicht aber die Anlagen in slowenischer Übersetzung übersandt worden waren.
Diese Mitteilung des Rechtshilfegerichts ging am 10.9.2007 beim LG ein. In der Folgezeit wurden weitere Zustellungsversuche zunächst nicht unternommen. Die Klage wurde der Beklagten erst am 27.7.2009...