Leitsatz (amtlich)
1. § 9 S. 1 HWG ist nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass das Werbeverbot für Fernbehandlungen akzessorisch die Unzulässigkeit der beworbenen Behandlung voraussetzen würde. Vielmehr kommt § 9 HWG ein eigener Regelungsgehalt zu, indem er nicht die Fernbehandlung an sich verbietet, sondern die Werbung hierfür.
2. Der Gesetzgeber hat auch mit der neuen Regelung des § 9 HWG (gültig ab 19.12.2019) an der grundsätzlichen Wertung festgehalten, dass eine Werbung für Fernbehandlungen im Interesse der Vermeidung der mit einer solchen Werbung verbundenen Gefahren für die allgemeine Gesundheit im Allgemeinen untersagt ist (vgl. § 9 Satz 1 HWG). Lediglich unter den in § 9 S. 2 HWG genannten Voraussetzungen ist die Werbung mit Fernbehandlungen nunmehr gesetzlich erlaubt.
3. Eine Werbung für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuchs, wobei mittels einer App in Deutschland lebenden Patienten angeboten wird, über ihr Smartphone von Ärzten, die im Ausland sitzen, für nicht näher konkretisierte Behandlungsfälle und -situationen Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreibungen zu erlangen, wird von dem Ausnahmetatbestand des § 9 Satz 2 HWG, wonach vorausgesetzt wird, dass ein ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nach allgemein anerkannten Standards in den beworbenen Fällen nicht erforderlich ist, nicht gedeckt.
Normenkette
HWG § 9; UWG § 3 Abs. 1, § 3a
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 33 O 4026/18) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 16.07.2019, Az. 33 O 4026/18, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil des Landgerichts München I vom 16.07.2019, Az. 33 O 4026/18, wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das vorliegende Urteil ist in Ziff. II. (Kostenentscheidung) vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich Ziff. I. des landgerichtlichen Urteils (Unterlassung) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,- EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu jeweils vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- und Kostenerstattungsansprüche geltend.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein zur Förderung gewerblicher Interessen, insbesondere zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.
Die Beklagte bewarb über ihren Internetauftritt unter "o....de" in Deutschland Leistungen ihres Tochterunternehmens, der o. Krankenversicherung AG, darunter auch einen sogenannten digitalen Arztbesuch bei Schweizer Ärzten der e. AG (vgl. Screenshots, Anlage KR 1a; Internetausdrucke, Anlage KR 1b).
Wegen dieser Werbung mahnte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 15.11.2017 ab und forderte diese zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, was die Beklagte ablehnte (vgl. Abmahnung sowie nachfolgende Korrespondenz, Anlagenkonvolut KR 3).
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland für ärztliche Fernbehandlungen in Form eines digitalen Arztbesuchs zu werben, wobei mittels einer App in Deutschland lebenden Patienten, die bei der o. Krankenversicherung AG krankenversichert sind, angeboten wird, über ihr Smartphone von Ärzten, die im Ausland sitzen, Diagnosen, Therapieempfehlungen und Krankschreibungen zu erlangen, insbesondere wenn das geschieht wie nachfolgend eingelichtet und aus Anlage KR 1a ersichtlich:
[es folgen mehrseitige Screenshot-Ablichtungen]
Weiterhin hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 267,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab dem 14.04.2018 zu zahlen.
Zur Begründung hat das Erstgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, Folgendes ausgeführt:
Dem Kläger stehe der gegen die Beklagte mit Klageantrag Ziffer I. geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. § 9 HWG (a. F.) zu.
Das vom Kläger beanstandete Verhalten der Beklagten sei nach der Kollisionsnorm des Art. 6 Abs. 1 Rom II - VO nach deutschem Lauterkeits- und Heilmittelwerberecht zu beurteilen, weil der Marktort, d.h. der Ort der wettbewerblichen Interessenkollision, im Inland liege.
Der Kläger sei als rechtsfähiger Verband im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert. Die Beklagte sei für den Online-Auftritt unter www.o...de verantwortlich und damit passivlegitimiert.
Der Online-Auftritt der Beklagten unter www.o...de verstoße gegen § 9 HWG [in ...