Leitsatz (amtlich)
1. Gegen den Hersteller des Motors eines vom sog. Dieselskandal betroffenen Pkw kommt grundsätzlich ein deliktischer Schadensersatzanspruch des Käufers aus §§ 826, 31 BGB in Betracht. In dem Inverkehrbringen eines mit einer nicht offen gelegten Steuerungssoftware ausgestatteten Motors, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb reduziert, liegt regelmäßig eine konkludente Täuschung des Endkunden, der das Fahrzeug, in das der Motor eingebaut worden ist, als Neu- oder Gebrauchtfahrzeug erwirbt.
2. Die Darlegungs- und Beweislast für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Erwerb des betroffenen Fahrzeugs trifft den Käufer. Die zu seinen Gunsten wirkende Erwägung, dass nach der Lebenserfahrung niemand ein mit einem entsprechenden Motor versehenes Kraftfahrzeug in Kenntnis der maßgeblichen Umstände käuflich erwerben würde, erscheint nur uneingeschränkt tragfähig, wenn der Käufer den Pkw vor Bekanntwerden des Abgasskandals erworben hat. Hatte der Käufer dagegen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von den Abgasmanipulationen, was angesichts der Offenlegung und breiten Erörterung dieses Themas in den Medien ab Herbst 2015 regelmäßig anzunehmen ist, muss er nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er davon ausgegangen ist, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von der Problematik nicht betroffen ist.
3. Die Kausalität der konkludenten Täuschung für den Vertragsschluss ist nicht erst dann zu verneinen, wenn dem Käufer die Betroffenheit des konkret erworbenen Pkws von den Abgasmanipulationen bei Vertragsschluss positiv bekannt war. Vielmehr reicht aus, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der von ihm erworbene Pkw betroffen sein könnte, aber keine ihm möglichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. Denn ein solches Verhalten des Käufers lässt im Allgemeinen den Rückschluss darauf zu, dass die als möglich erkannte Betroffenheit des Fahrzeugs von den Abgasmanipulationen für seine Kaufentscheidung nicht von wesentlicher Bedeutung war. Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des darlegungs- und beweisbelasteten Käufers.
Verfahrensgang
LG Traunstein (Aktenzeichen 6 O 3865/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 09.08.2019, Az. 6 O 3865/18, dahin abgeändert, dass die Klage vollumfänglich abgewiesen wird.
2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Form der Rückabwicklung eines Kaufvertrages vom 11.01.2016 über einen gebrauchten Pkw VW Touran, in dem ein vom sog. Abgasskandal betroffener Dieselmotor der Beklagten eingebaut ist. Bezüglich der Darstellung des Sach- und Streitstandes und der Anträge im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 141/144 d.A.) Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 09.08.2019 hat das Landgericht der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Beklagte zur Zahlung von 17.302,26 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Pkw verurteilt und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet. Im Übrigen hat es die Klage - soweit die Rückzahlung des vollen Kaufpreises in Höhe von 23.500 EUR, die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für weitere Schäden, deliktische Zinsen gemäß § 849 BGB sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten begehrt wurden - abgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht im Wesentlichen aus:
Der Klagepartei stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 3, § 249 Abs. 2 Satz 1, § 251 BGB zu. Zwischen den Parteien bestehe ein Schuldverhältnis, da die Beklagte als einer der größten deutschen Automobilhersteller besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch den Vertragsschluss maßgeblich beeinflusst habe. Mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung, die durch einen Mitarbeiter der Beklagten ausgestellt werde, übernehme die Beklagte eine persönliche Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der darin enthaltenen Erklärungen. Zudem komme der Beklagten als Herstellerin ein erhebliches Eigeninteresse am Verkauf durch die Vertragshändler zu. Auch eine Pflichtverletzung der Beklagten sei zu bejahen. Die Beklagte als Herstellerin hätte den Kläger als Endkunden vor Abschluss eines Kaufvertrages auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und die damit verbundenen Gefahren bis hin zu einem möglichen Entzug der Betriebserlaubnis hinweisen müssen, was unstreitig ni...